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Erster Teil.
Allgemeine Lehren.

I. Abschnitt.

Souveränetät über das Meer.

§ 4.

Freiheit des Meeres.

I. Rückblick.

Das Römische Recht führt das Meer unter denjenigen Objekten auf, welche dem natürlichen Recht gemäfs allen gemeinsam zugehören. 1) Der Gedanke an ein Hoheits- beziehungsweise Eigentumsrecht am Meere fand erst zu einer Zeit Eingang, da für den Römischen Kaiser, als den Herrn der Welt, die Herrschaft über das ganze Weltmeer in Anspruch genommen wurde. Das moderne Völkerrecht erkennt die Freiheit des Meeres im Prinzip uneingeschränkt an. Demungeachtet treten auch noch in neuerer Zeit, wennschon sehr vereinzelt, Ansprüche zu Tage, welche mit diesem Prinzip nicht im Einklang stehen. Um deren Unwert ermessen zu können, erscheint ein gedrängter Rückblick auf diejenigen Perioden angezeigt, in welchen Souveränetätsrechte über Meeresgebiete im weitesten Umfange geltend gemacht wurden.

Zunächst die aus Anlafs der grofsen Entdeckungen zur See erfolgte Intervention der römischen Kurie. Mittels zweier im Jahre 1493 erlassener Bullen übertrug Papst Alexander VI. die Herrschaft

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1) Namentlich 1. 2 § 1 D. de div. rer. et qual. I, 8: Et quidem naturali jure omnium communia sunt illa: aër, aqua profluens et mare, et per hoc litora maris; entsprechend § 1 J. de rer. div. II, 1; ferner 1. 13 § 7 D. de injuriis XXXXVII, 10: et quidem mare commune omnium est et litora, sicuti aer. S. die Betrachtungen bei A. PERNICE: die sog. res communes omnium (in der Festgabe für HEINRICH DERNBURG, Berlin 1900) S. 132, 139, 143 f. Nur einzelne Teile des Meeres konnten durch faktische Ausscheidung, für die Dauer des Bestehens derselben, Gegenstand des Privatrechts werden. S. im übrigen A. PIERANTONI, Trattato di diritto internationale, Roma 1881, I. §§ 203, 298; CAUCHY, I. S. 175 f.

über alle von Columbus entdeckten Länder und Inseln, sowie über alle neu entdeckten und in Zukunft zu entdeckenden Länder und Inseln westlich von einem durch die Kap Verdischen Inseln laufenden Meridian den vereinigten Kronen von Kastilien und Arragonien (Spanien), und die Herrschaft über diejenigen östlich von dieser Linie der Krone Lusitanien (Portugal). Auf diese Übertragung gründeten beide Teile lange Zeit hindurch ihre Exklusivansprüche auf Neuentdeckung und Erwerbung von Ländern und Meeren; insbesondere leitete Portugal aber auch daraus für sich das Monopol auf den afrikanischen und den ostasiatischen Seehandel her. 1)

Die Prätentionen der Iberischen Staaten hielten indessen andere Nationen keineswegs ab, gleichfalls Ansprüche auf die Herrschaft über Meeresgebiete zu erheben, welche auch nicht selten, häufiger freilich gezwungen als freiwillig, internationale Anerkennung fanden, sowie auch neu entdeckte Länder und Meere als ihr Eigentum in Anspruch zu nehmen; namentlich traten hervor die Mittelmeerstaaten, Holland, die Skandinavischen Mächte, England und Rufsland. Die Folgen waren naturgemäss fortgesetzte Reibungen, Fehden und Kriege; nur in einem Punkte herrschte stets Übereinstimmung, nämlich in der gänzlichen Nichtachtung der neuentdeckten Völkerstämme. Hervorzuheben sind:

a) Die Mittelmeerstaaten.

Die Türkei nahm die Herrschaft über alle an ihre Ländergebiete grenzenden Meere, insbesondere auch über das Schwarze Meer, in Anspruch (s. auch § 5, II); Genua diejenige über das Ligurische, Venedig, auf Grund einer päpstlichen Verleihung, die über das Adriatische Meer, gegen die Verpflichtung der Republiken zum Schutze des Seehandels gegen Sarazenen und Piraten.

b) Die Skandinavischen Mächte.

Schon im Jahre 1432 hatte König Erich von Dänemark und Norwegen dem König von England erklärt, dafs in den norwegischen Meeren von Alters her niemand die Fischerei oder den Handel betreiben dürfe, aufser mit Königlicher Spezialerlaubnis. In der Folge wurde jedoch das Recht zu diesem Betriebe für englische Untertanen durch mehrere Staatsverträge, welche abwechselnd teils gehalten, teils

1) Wenn die päpstlichen Bullen den Rechtstitel für Neuerwerbungen abgaben, so bereitete die Erwerbsart am wenigsten Verlegenheiten. So durchwanderte Bilbao im Jahre 1615 die Landenge von Panama, entdeckte die Südsee und nahm von derselben für die spanische Krone Besitz in der Weise, dafs er, eine Fahne mit dem Bilde der heiligen Jungfrau und ein Schwert in den Händen tragend, bis zu den Knien in die Flut stieg und die Besitzergreifung proklamierte. In einer Abhandlung „La ligne de démarcation d'Alexandre VI" (Rev. de dr. i. 1895, S. 474 bis 491) erörtert E. NYS die Bedeutung der päpstlichen Erlasse, und kommt zu dem Ergebnis: l'action du souverain pontife ne mérite ni l'excès d'honneur ni l'indignité qu'on a manifesté à son sujet... A une demande de concession, le pape ou plutôt la chancellerie pontificale a répondu par l'octroi d'un diplôme calqué sur des diplômes qui, auparavant, avaient été fréquemment accordés."

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für unverbindlich erklärt wurden, anerkannt; es handelte sich namentlich um die hohen Erträge des Walfischfangs im Nördlichen Eismeer zwischen Norwegen, Island, Grönland und, wie es in den Erlassen der norwegischen Könige heifst, dem Nordpol. Zahlreiche Verträge beweisen, dafs auch noch im 17. Jahrhundert das imperium der vereinigten Kronen von Dänemark und Norwegen über die Meeresgebiete in der Umgebung von Island und Grönland anerkannt wurde.

c) Rufsland.

Noch im 19. Jahrhundert beanspruchte Rufsland die Herrschaft über das Kamtschatkische und das Behringsmeer in einer Ausdehnung bis zu 100 englischen Meilen von beiden Kontinenten, und demgemäfs untersagte ein Ukas Kaiser Alexanders I. vom 16./4. September 1821 allen fremden Fahrzeugen den Fischfang in diesem Bereich. In Folge von Protesten der Vereinigten Staaten von Nordamerika und Englands mufste Rufsland diesen Standpunkt aufgeben. 1)

d) England.

Seit der Regierung König Edgars (959-975) pflegten Englands Herrscher die Souveränetät über alle Meere um England,,mare Anglicanum circumquaque" in der weitesten Ausdehnung in Anspruch zu nehmen, und wenn auch gelegentlich Königin Elisabeth erklärte: die Benutzung des Meeres und der Luft sei allen gemeinsam, keine Nation und keine Privatperson könne ein Recht auf den Ozean haben, weil weder Natur noch Gewohnheit die Okkupation zuliefsen, so war das nur ein vereinzelter Lichtstrahl, dessen Quelle in den handelspolitischen Verhältnissen der damaligen Zeit lag.

Zur wissenschaftlichen Erörterung kam die Frage von der Souveränetät über das Meer im Anfange des 17. Jahrhunderts, und zwar zuerst in der im Jahre 1609 erschienenen Tendenzschrift des Holländers HUGO GROOT (GROTIUS): „Mare liberum, sive de jure quod Batavis competit ad Indicana commercia.") Der Zweck der Arbeit war der Nachweis der Berechtigung der Holländer zum Handelsbetrieb nach Indien gegen die auf die päpstlichen Bullen von 1493 gestützten Bestrebungen der Portugiesen.) GROTIUS' Ausführungen waren bahn

1) Auch frühere ähnliche Prätentionen Rufslands erklärt F. v. MARTENS (Völkerrecht, I. S. 380) als weder durch internationale Usancen noch durch die Theorie begründet. S. ferner über die spätere Regelung CASTEL, S. 180 f.

2) Verfafst war die Abhandlung bereits mehrere Jahre früher. Sie geht zurück auf die von GROTIUS 1604 begonnene, 1605 vollendete Arbeit De jure praedae", die jedoch erst 1864 bekannt geworden ist (ed. HAMAKER, Hagae Comitum 1868). Dem 12. Kapitel dieses Werkes ist das , Mare liberum", welches übrigens in erster Ausgabe anonym erschien, fast wörtlich entnommen. Dem Charakter der Schrift entspricht es, wenn GROTIUS' Bibliograph H. C. ROGGE (Hugonis Grotii operum descriptio bibliographica, Hag. Com. 1883) sie unter dessen politischen, nicht unter den juristischen Schriften aufführt.

*) GROTIUS erklärt mit Bezug darauf: Donatio nullum habet momentum in rebus extra commercium positis. Quare cum mare aut jus in eo navigandi proprium

brechend für das Prinzip von der Freiheit des Meeres; der berühmte Verfasser, der zuerst das internationale Recht in seinem ganzen Umfang durch sein klassisches Werk De jure belli ac pacis" zu einer selbständigen Wissenschaft erhob, leugnet jede Souveränetät über das offene Meer oder Teile desselben.

Dafs die GROTIUSsche Schrift bei denjenigen Nationen, welche dem von ihm aufgestellten Prinzip widerstreitende Rechte beanspruchten, gewaltigen Widerspruch hervorrief, lag nicht in dem Mangel überzeugender Begründung, sondern in der zutreffenden Einsicht, dafs die praktische Durchführung der von dem Verfasser entwickelten Grundsätze die Beseitigung aller Exklusivrechte und mithin einen Umschwung im internationalen Seeverkehr präsumtiv zum Nachteil der Exklusivberechtigten beziehungsweise derjenigen, welche sich dafür hielten, zur Folge haben musste. König Karl I. von England forderte angeblich von der holländischen Regierung die Bestrafung des GROTIUS und schrieb an seinen Gesandten im Haag folgendes: „First we hold it a principle not to be denied, that the king of Great Britain is a monarch at land and sea to the full extent of his dominions, and that it concerneth him as much to maintain his sovereignty in all the british seas as within his three kingdoms; because without that these cannot be kept safe, nor he maintain his honour and due respect with other nations. But commanding the seas, he may cause his neighbours and all countries to stand upon their guard, whensoever he thinks fit. To such presumption Mare liberum gave the first warningpiece, which must be answered by a defence of Mare clausum, not so much by the discourses as by the louder language of a powerfull navy, to be better understood, when overstrained patience seeth no hope of preserving her right by other means." Er veranlafste in der Folge die Veröffentlichung einer Gegenschrift „Mare clausum", welche 1635 zu London unter der Autorschaft von JOHANNES SELDEN erschien.1) SELDEN sucht in dem ersten Teil seines geistvoll gehaltenen Werkes den Nachweis zu führen, dafs nach Natur- und Völkerrecht das Meer nicht allen gemeinsam sei, sondern gerade so wie Landgebiet Objekt des Eigentums sein könne, und im zweiten Teil, dessen Tendenz der Beweis der Exklusivberechtigung der Engländer zum Betrieb des Heringsfanges in der Nordsee ist, nach dem Vorgang von ALBERICUS GENTILIS 2): dass das Meer um England,,circumquaque" Pertinenz des Landes und der König von England Herr desselben im ausgedehntesten Umfange seiner Gebiete sei. 8) Karl I. brachte aber auch die von ihm im An

nulli hominum esse possit, sequitur neque dari a Pontifice neque a Lusitanis accipi potuisse. Praeterea cum supra relatum sit ex omnium sani judicii hominum sententia Papam non esse dominum totius orbis, ne maris quidem esse satis intelligitur" (cap. VI).

1) Näheres bei E. NYS, Études de droit international etc., 2e série, Bruxelles et Paris 1901, S. 267-269.

2) De advocatione hispanica (1613) lib. I. cap. VIII.

Ältere Literatur über das mare clausum bei NAU, §§ 70 f., speziell mit Bezug auf die Meere um England in den §§ 79-81. VALIN (II. S. 686) bemerkt mit Bezug auf die SELDENSche Schrift: „4 la vérité il n'est pas possible de défendre avec plus d'esprit et d'adresse une cause de cette nature; mais enfin il n'emploie aucun argument qu'on ne puisse facilement réfuter

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spruch genommene und von SELDEN verteidigte Herrschaft über die Nordsee, speziell das Exklusivrecht auf die Heringsfischerei in derselben, den Holländern gegenüber zur praktischen Geltung, „by the louder language of a powerfull navy". Schon im Jahre 1636 entsendete er eine Flotte von 60 Schiffen in die Nordsee, um jene aus den Fischereirevieren zu verdrängen, und erlangte die Genugtuung, dass die Holländer sich die Erlaubnis erwirkten, gegen Zahlung eines jährlichen Tributes die Fischerei in der Nordsee fernerhin betreiben zu dürfen. Später wollte namentlich Cromwell das ,,Britannia, rule the waves" zur Geltung und Anerkennung bringen. Kategorisch erklärte er: England dürfe nicht dulden, dafs ohne seine Genehmigung auf dem Ozean eine andere Flagge als die britische wehe. 1)

In betreff der Forderungen wegen zeremonieller Anerkennung der maritimen Souveränetätsrechte s. § 26.

1) Durch die von ihm unterm 9. Oktober 1651 erlassene Navigationsakte suchte Cromwell den Grund für die maritime Machtstellung seines Landes zu legen. Als ältester Vorläufer der Navigationsakte ist zu verzeichnen ein Parlamentsbeschlufs vom 12. November 1390, nach welchem englische Kaufleute nur englische Schiffe befrachten sollten, der jedoch schon im folgenden Jahre dahin modifiziert wurde, dafs englische Kaufleute an fremden Hafenplätzen, wenn nicht hinreichend englische Schiffe da waren, auch fremde zu befrachten ermächtigt wurden. Aus den Festsetzungen der Akte von 1651 ist hervorzuheben: Von aufsereuropäischen Plätzen dürfen Waren aller Art nach England und nach allen englischen Besitzungen nur auf Schiffen englischer Nationalität, deren Kapitän nebst drei Vierteln der Besatzung englische Untertanen sind, verladen werden bei Strafe der Konfiskation von Schiff und Ladung. Europäische Waren dürfen, unter demselben Präjudiz für den Fall des Zuwiderhandelns, nach England und nach allen englischen Besitzungen nur gebracht werden von englischen Schiffen oder von Schiffen des Landes, aus welchem die Waren herstammen oder zuerst verschifft werden können. Seefische und sonstige Produkte des Fischfangs dürfen nach England nur von Schiffen des Landes gebracht werden, dessen Untertanen sie gefangen bezw. zubereitet haben; dergleichen Gegenstände dürfen, wenn sie von englischen Fischern gefangen bezw. zubereitet sind, nur auf englischen Schiffen exportiert werden. Erhöhte Einfuhrzölle für die an Bord fremder Schiffe nach England eingeführten Waren. Erneuerung des bereits von der Königin Elisabeth erlassenen Verbotes des Küstenhandels für Fremde.

Die Akte richtete sich vorzüglich gegen den holländischen Zwischenhandel; Holland legte auch sogleich Protest ein; die Aufforderung zur Rücknahme der Akte blieb aber ohne Erfolg, und so brach zwischen beiden Staaten der Krieg aus, der im Jahre 1654 mit dem Sieg Englands schlofs. In dem folgenden Jahrzehnt brachte aber der erneute Kampf für die Holländer derartige Erfolge mit sich, dafs England in dem Frieden von Breda (1667) sich dazu verstehen musste, die Akte zu Gunsten der Holländer einzuschränken. Auch den deutschen Hansestädten wurden in der Folge zeitweise Konzessionen gemacht. Weitere wesentliche Modifikationen erlitt die Akte erst, als nach dem Unabhängigkeitskampf der Vereinigten Staaten von Nordamerika deren Kongrefs eine analoge Akte gegen die ausländische Frachtfahrt erlassen hatte (1787). Aus Anlafs der sodann in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auch von anderen Mächten geübten oder in Aussicht gestellten Retorsion wurde dic Akte in ihren wesentlichen Bestimmungen allmählich durch eine Reihe von Handels- und Schiffahrtsverträgen mit amerikanischen und europäischen Staaten, welche das System der gegenseitigen Gleichstellung fremder und einheimischer Schiffe zur Durchführung brachten, beseitigt. Die britische Gesetzgebung hielt mit diesem System Schritt, und durch die Navigationsakte vom 26. Juni 1849 (8 u. 9 Vict. c. 29) wurden fast alle gesetzlichen Beschränkungen, denen vordem

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