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nicht. Die Einförmigkeit der Gesichter und Körper giebt daher den Ausdruck der sanften Gesinnung, in welcher eben alles Eigne verschwunden, nur das Gemeinsame gesucht ist. Der Charakter der Ruhe und Zuversicht, der Ausdruck des Ernstes und der Milde, endlich sogar die Wärme und Innigkeit des Gefühls sprechen uns daher ungeachtet aller Unvollkommenheiten des Einzelnen auf eine wohlthätige Weise an, und unterscheiden diese christlichen Werke sehr merklich von der Leere der gleichzeitigen heidnischen. Eben so wie das architektonische und malerische Princip zeigt daher auch schon der Ausdruck eine Andeutung von dem, wonach später die christliche Kunst strebte.

Es ist sehr lehrreich, dass eine für höhere Kunst eigentlich abgestorbene Zeit schon die Elemente erzeugt, die in spätern Jahrhunderten der Bildung und Blüthe christlicher Völker sich erst entwickeln sollten. Nicht ein bewusstes Streben, nicht das absichtsvolle Suchen nach neuen anregenden Gebilden, nicht die Begeisterung eines hochbegabten Künstlers erzeugt die neue Form; sie entsteht von selbst, ein höheres Gesetz leitet die Hand des anspruchslosen, unbeholfenen Arbeiters. Noch ist indessen dieses neue Gesetz nicht durchgedrungen, nicht verarbeitet; die Kunst geht noch in dem verbrauchten römischen Kleide. Nur eine leise Bewegung, ein vorüberfliegender Zug der Mienen giebt uns die innere Veränderung kund. Es ist ein milder freundlicher Zug, der, weil wir ihn auf dem Antlitz der sterbenden Kunst des Alterthums wahrnehmen, etwas Wehmüthiges enthält, der aber uns wie ein liebevoller Scheideblick, auf künftiges Wiedersehen vorbereitet.

Wir erkennen hier auf dem Boden der Kunst und an

künstlerischen Formen ein grosses Gesetz der weltgeschichtlichen Entwickelung, das auch in der Geschichte des geistigen Lebens und namentlich der christlichen Religion sich oft geltend macht. Ueberall wo eine Richtung des menschlichen Geistes ihr Ziel erreicht hat, zeigen sich in der Zeit ihres Absterbens Andeutungen des neuen Princips. Allein diese treten keinesweges sofort in volles Leben, vielmehr entstehen nun Hindernisse und entgegengesetzte oder entstellende Bestrebungen, welche diesen erwachenden Geist mit sich in Zwiespalt bringen und von dem rechten Wege abführen; so beginnt dann ein langer Zeitraum der Gährung und unklarer Gestalt, bis endlich jenes zuerst angedeutete Princip erkräftigt und selbstbewusst wieder hervortritt und nun mit unwiderstehlicher Macht siegt. Menschliche Ungeduld kann dieses Zögern der Geschichte als eine Unvollkommenheit und Härte betrachten, aber wir sollten vielmehr darin die Weisheit der Vorsehung erkennen, welche die grossen Ereignisse nicht plötzlich, nicht mit Willkür eintreten, sondern langsam reifen lässt, damit sie zugleich ein Werk der menschlichen Freiheit und höherer Nothwendigkeit werden.

Zweites Buch.

Die byzantinische Kunst.

Erstes Kapitel.
Historische Einleitung.

Magnus ab integro saeclorum nascitur ordo.
Jam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna;
Jam nova progenies coelo demittitur alto.

„Siehe, von Neuem beginnt der Zeiten gewaltiger Kreislauf! „Schon auch die Jungfrau kehrt, es kehret das goldene Al„ter, Schon steigt nieder ein neues Geschlecht vom erha„benen Himmel." Diese Worte, die ein römischer Dichter kurz vor Christi Geburt sang, galten im Mittelalter als eine unzweifelhafte Prophezeiung der Ankunft des Herrn. Die Kritik unsrer Zeit weiss zwar sehr wohl, dass Virgil nicht der gottbegeisterte Seher war, für den man ihn hielt, dass er nur die Geburt eines vornehmen Knaben mit einer kühnen poetischen Wendung feiern wollte, aber es bleibt immerhin merkwürdig, dass ihm der Zufall so bedeutungsvolle, treffende Worte eingab. Denn in der That, wenn wir im Bewusstsein der völligen Umgestaltung, welche die Welt durch den Heiland erfuhr, auf den Anfang der christlichen Zeit zurückblicken, so bemächtigt sich unsrer ein Gefühl, welches in diesen Worten kräftig ausgesprochen ist. Gewiss beginnt hier eine neue

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