Page images
PDF
EPUB

faltet werden, wenn sie anders überhaupt vorhanden ist. - Bei Marcel Bing, dem jedenfalls eine ungewöhnliche und originelle Begabung nachgesagt werden darf, kann von einer Vereinigung der Naturform und der modernen Ornamentlinie gesprochen werden. Er benutzt die Natur, aber in einer so eigenartigen und keck stilisierten Weise, daß durchaus der harmonische Eindruck eines Ornamentes hervorgerufen wird. Man betrachte daraufhin die Mantelschließe, die sich aus stilisierten Pfauen zusammensetzt: Sind das Vögel? Gewiß; wir unterscheiden unzweideutig den Kopf, zwei Flügel und den Schweif. Zugleich aber ist das auch ein flott gezeichnetes modernes Ornament, und in seiner interessanten und ringsum geschlossenen Linienführung ein praktisches, bequem zu tragendes Schmuckstück. Ebenso ist es bei dem Profilkopf, bei dem die sorgsam gewählte Linie von Haar und

Kopfputz durchaus ornamental wirkt, während das düstere, energische Profil einen Natureindruck von schlagender Unmittelbarkeit ergibt. Bisweilen ist die gewählte Stilisierung wohl auch etwas wunderlich, wie bei dem herzförmigen Medaillonanhänger, bei dem das Auge das Bild der beiden Hähne kaum aus dem Liniengewirre herauszulösen vermag, ohne daß deswegen ein rein ornamentales Ganzes entstünde.

Ich möchte damit aber nicht die Meinung erwecken, als sei diese Art der stilisierten Naturnachbildung, wie unsere Schmuckabbildungen nach Marcel Bing sie zeigen, das einzig richtige. Durchaus nicht; vielmehr möchte ich wiederholt darauf hinweisen, daß alle diese Tendenzen kommen und gehen, heute beliebt und morgen verworfen sind. Das einzig bleibende in all dem Wechsel ist die künstlerische Eigenart.

[graphic][merged small][merged small][merged small]

Wir leben in einer Zeit, wo uns ein Wall von Gesetzen umgibt. Kein Mann kann alles im Kopfe behalten, was die große deutsche Gesetzgebungsmaschine produziert. Sie arbeitet mit Dampfbetrieb. Aber soviel Gesetze auch hervorgebracht werden, gute und schlechte, sie reichen nicht aus, um alle Beziehungen der Menschen untereinander zu regeln. Die Gesellschaft kann nicht allein durch Rechtsgelehrte geleitet werden. Sie muß vom sittlichen Bewußtsein des Einzelnen regiert werden. Schon seit alter Zeit gibt es ein Gesetz, das über allen Gesetzen im Handel und Gewerbe steht, das Gesetz der Ehre, das Gesetz von Treue und Glauben im Geschäftsverkehr. Standesehre! Standesbewußtsein! Das müssen zwei Regulatoren unseres Lebens sein, wenn wir im Handel und Gewerbe vorwärts kommen wollen. Gesetze allein tuns nicht. Es gab eine Zeit, wo man im deutschen Strafrecht die Ehre der Menschen in verschiedene Klassen einteilte. Da gab es eine allgemeine Menschenehre", eine ,,bürgerliche Ehre", eine,,Amtsehre", ja im Ausgange des Mittelalters sprach man von Ritterehre, Bauernehre, Soldatenehre u. s. w., wobei es vorkommen konnte, daß ein und dieselbe Person zweierlei Ehre hatte und der Richter untersuchen mußte, welche Ehre verletzt war, da ja für jede eine besondere Buße festgesetzt war. Schon Johann Christian Thomasius machte sich über diese Zersplitterung lustig. Und doch erkennt man noch heute eine besondere,,Standesehre" an. Man spricht

heute noch von einer,,kaufmännischen Ehre" und ebenso von der „Handwerksehre", die beide auf Treue und Glauben gegründet sind. Erst jüngst kam uns ein Urteil

ANHÄNGER

Entwurf: Marcel Bing. Ausführung: L'art nouveau Bing, Paris.

unter die Hände, wo es sich um eine Veruntreuung eines Gehilfen dem Meister gegenüber handelte. Da wurde als strafschärfend vom Schöffengericht Leipzig hervorgehoben, daß sich der Angeklagte gröblich gegen die ,,Handwerksehre" vergangen habe. Worin besteht die besondere Ehre des Gewerbetreibenden, worin besteht die Handwerksehre des deutschen Goldschmieds? Sein ganzes Wirken und Schaffen soll auf Treue und Glauben gegründet sein. Er soll rein in Handel und Wandel dastehen, er soll geschäftliche Manipulationen vermeiden, die man wohl einem anderen verzeiht, die man aber gerade von einem Geschäftsmann nicht erwartet und ihm höher anrechnet als allen anderen. Die Handwerksehre ist verletzt, wenn unlauterer Wettbewerb getrieben, eine Schund- und Schmutzkonkurrenz durch wahrheitswidrige Reklamen, durch unreelle Ausverkäufe, Auktionen u. s. w. in die Welt gesetzt und der eigene Vorteil auf Schleichwegen zum Nachteil der Kollegen gesucht wird. Die Würde des Goldschmieds sollte es verbieten, daß er die Reklamen der Ausschreier auf Märkten und Messen sich zu eigen macht, daß er sich zum Absatz seiner Waren der Allüren von ,,Seiferts Oskar" und wie die Berühmtheiten der Jahrmärkte sonst heißen, bedient. Geklagt sei es, aber wahr ist es, daß in der

[graphic]

Reklame die Handwerksehre des deutschen Goldschmieds oft einen schweren Stoß erhält. Vor uns liegen eine ganze Reihe von Reklamen aus der letzten Weihnachtszeit. Diese superlativischen Anpreisungen machen einen geradezu lächerlichen Eindruck auf den reellen, ernst denkenden Goldschmied. Sie schädigen aber den ganzen Stand und erschweren das solide Geschäft.

die Handwerksehre Schiffbruch gelitten. Gerade beim Taxieren der Waren des Konkurrenten soll größte Vorsicht und kollegiale Rücksicht walten. Wer zu niedrig taxiert, um dem Konkurrenten eine Schlappe zu versetzen, handelt wider Treue und Glauben und verletzt seine eigene Standesehre. Neue Sachen abzuschätzen lehnen deshalb schon die meisten Goldschmiede ab, aber allgemein ist diese vortreffliche Sitte leider noch nicht geworden.

Warum schließen wir uns denn in Innungen und freien Vereinigungen zusammen? Warum schufen wir im Verband eine Organisation, die alle deutschen Goldschmiede umfassen soll? Weil wir gemeinsam, unter Wahrung der Standesehre, unsere Interessen wahren, unsere Lage heben, unser Recht stärken wollten. Weil uns das Wort des Dichters vor der Seele schwebte:,,Vereinigt werden auch die Schwachen mächtig!" Aber es steht schlecht um diese Gemeinsamkeit, wenn wir es bei schönen Worten bewenden lassen und im praktischen Geschäftsleben nicht danach handeln. Die Handwerksehre muß uns verbieten, im Handel auf Schleichwegen dem Konkurrenten einen Vorsprung abzugewinnen. Was man im gewöhnlichen Leben Schlauheit und Pfiffigkeit nennen mag, ist oft genug im geschäftlichen Leben als unehrenhaft an

[graphic]

ANHÄNGER

Entwurf: Marcel Bing. Ausführung: L'art nouveau Bing, Paris.

Aber die Handwerksehre fordert auch, daß die Goldschmiedemeister einander sich die Achtung und Kollegialität einräumen, die nach der Standes- und Berufszusammengehörigkeit erwartet werden darf. Wie sieht es denn damit aus? Uns schrieb vor kurzem ein Goldschmied über die Unkollegialität an kleinen Plätzen, wo die Fachkollegen ohne Gruß aneinander vorübergingen.,,Nur durch kollegiales Zusammenhalten," hieß es in dem betreffenden Brief,,,können wir der unlauteren Konkurrenz entgegentreten." Das ist sehr war. An den großen Plätzen ist es aber oft nicht besser wie an kleinen. In den Annoncen werden heute Wendungen gebraucht, welche den Konkurrenten in Schatten stellen sollen. Man sieht darüber hinweg, daß man es doch auch mit einem Fachgenossen zu tun hat! Man handelt ganz so, als ob man im Konkurrenten einen persönlichen Feind zu bekämpfen habe, einen Widersacher, den man aus dem Sattel heben müsse. Im persönlichen Verkehr mit der Kundschaft entblöden sich viele nicht, ihren Handwerksgenossen direkt zu schädigen. Es werden da Urteile gefällt, die man möglichst verschleiert, um nicht gepackt werden zu können. ,,Ja," heißt es da zu einem Kunden. der eine Sache zur Reparatur bringt, die er früher bei einem anderen Goldschmied gekauft hat, ,,das Stück hätten Sie bei mir viel billiger kaufen können," oder ,,da sind Sie um die Hälfte überteuert worden," oder „,da haben Sie sich anschmieren lassen." Sehr richtig hat ein Berliner Handelsblatt mit Bezugnahme auf solche Fälle von einer,,Verrohung im Geschäftsleben" gesprochen. Wir haben erst kürzlich einen Fall zur Kenntnis erhalten, WO eine Kundin den gekauften neuen Gegenstand zu einem Konkurrenten geschafft hatte, damit dieser sein Gutachten abgeben sollte. Obwohl der von dem ersten Goldschmied genommene Verdienst ein ganz normaler war, hatte der Konkurrent doch von einem,,Hereinfall" gesprochen und denselben Gegenstand zu einem Preis offeriert, der unter dem üblichen zurückblieb. Aber die Kundin war empört und verlangte von dem ersten Goldschmied die Zurücknahme der Ware. Das Ende vom Liede war ein Beleidigungsprozeß, in dem der Konkurrent als Zeuge eine sehr eigentümliche Rolle spielte. Bei solchen Manövern hat

ANHÄNGER

Entwurf: Marcel Bing. Ausführung: L'art nouveau Bing, Paris.

zusehen, selbst wenn es durch die Maschen des Gesetzes hindurchschlüpft. Jeder Goldschmied darf und muß seinen eigenen Vorteil bei Kauf und Verkauf ausnutzen. Aber Merkur gilt heute nicht mehr als der Gott der Diebe. Nicht auf Hinterwegen sollen die Vorteile gewonnen werden. Der ehrliche Geschäftsmann soll nicht in den Schlichen des Schmugglers sein Heil suchen. Der Schild seiner Handwerksehre soll rein von Flecken bleiben. Auch im Verkehr mit der Kundschaft und seinen Angestellten soll er nach Treue und Glauben handeln. Falsche Vorspiegelungen über die Ware dem Kunden gegenüber, die denselben zu einem ungünstigen Kaufe verleiten, stempeln zum Betrüger. Desgleichen falsche Vorspiegelungen beim Einkauf von Altgold. Wir denken dabei an zwei Gerichtsverhandlungen aus neuester Zeit. Wo solche Machinationen vorkommen, da ist die deutsche Handwerksehre zu Grabe getragen worden! Die Wahrung von Treue und Glauben, die Hütung der Handwerksehre muß über dem Gesetze stehen und für die Reinheit und Würde in Handel und Handwerk Sorge tragen. Daher ist es ein ernster Mahnruf in unseren Tagen, der nicht oft genug in den bewegten, sorgenreichen Geschäftsverkehr hineingerufen werden kann: Deutsche Goldschmiede! Haltet auf Treue und Glauben! Hütet Eure Meisterwürde! Wahret Eure Handwerksehre!

[graphic]

Der Bernstein im Kunstgewerbe.

Auf der unter dem Proktektorate der Großfürstin Xenia stattfindenden internationalen Ausstellung für Kostüme, Schmuckund Luxusgegenstände, welche im Dezember vorigen Jahres in St. Petersburg eröffnet wurde und die bis zum März 1903 dauerte, gibt das preußische Ministerium für Handel und Gewerbe eine Übersicht der deutschen Bernsteinindustrie, soweit sie sich mit der Anfertigung von Schmuck- und Luxusgegenständen beschäftigt. Mit den Vorarbeiten, der Einrichtung, dem Aufbau und der Vertretung dieser Sammelausstellung wurde der Landesgeologe Professor Dr. Klebs aus Königsberg i. Pr., Mitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften, beauftragt, der in gleichem Auftrage bereits auf der letzten Pariser Weltausstellung tätig war.

worden. Das leuchtende Feuer des Bernsteins, gepaart mit Durchsichtigkeit und Klarheit, sowie sein zartes, mildes Gelb waren die Ursachen, daß sich die Aufmerksamkeit der Putzsuchenden schon in den frühesten Zeiten auf ihn lenkte. Dazu kamen seine leichte Bearbeitung und hohe Politurfähigkeit und, was ja ganz besonders zum Schmucke gehört, ein bedeutender Wert, der namentlich in den ältesten Zeiten ganz besonders hoch gewesen sein mag, weil das äußerst beschränkte Vorkommen des Bernsteins und die Schwierigkeit seines Erlangens ihn zu einem Stoffe machten, der damals weit höher als selbst das Gold geschätzt wurde.

Im Altertum fand ein lebhafter Handel mit Bernstein statt, seine Handelswege sind klar gekennzeichnet durch die Tauschobjekte für Bernstein aus Bronze, Silber und anderen Stoffen, welche von Händlern aus den in der Kultur höher stehenden Ländern den Völkern des Nordens vermittelt wurden. Das am meisten handeltreibende Volk des Altertums, die Phönizier waren auch die ersten Bernsteinhändler, und der Massenfund von Bernsteinperlen, den Schliemann bei Mykene ans Tageslicht förderte, dürfte sicher durch Phönizier dorthin gebracht worden sein. Immerhin kann jener Handel mit Bernstein, der nur in geringen Mengen von den Ufern der Nordsee auf der berühmten Handelsstraße des Altertums, durch die Täler der Rhône und des Rheins, bezogen wurde, nicht groß gewesen sein. Da gelang es den Etruskern, etwa 500 Jahre vor Christi, die reichen Bernsteinquellen des heutigen Ostpreußens zu entdecken; sie trieben nun einen schwunghaften Handel mit Bernstein, und auch die Griechen erreichten mit ihren Handelsbeziehungen, wie Funde bewiesen haben,

[graphic]
[graphic]

HALSSCHMUCK MIT BERNSTEIN

Juwelier C. Steyl, Königsberg.

Wie heutzutage so viele Zweige erloschenen Kunstgewerbes eine Neubelebung erfahren, so bereitet sich eine solche neuerdings auch in bezug auf die künstlerische Verwertung des Bernsteins vor, und mit Freuden ist es zu begrüßen, so schreibt die in Breslau erscheinende Schlesische Zeitung, daß dieses dem Preußenlande ureigenste Erzeugnis wieder mehr zu Ansehen kommen soll. Schon in den ältesten Zeiten hat der Bernstein bekanntlich das erhärtete Harz einer vorweltlichen Conifere in der Verwendung zum körperlichen Schmucke eine große Rolle gespielt. Mit dem Erwachen des menschlichen Bewußtseins tritt uns zugleich der Wunsch, sich zu schmücken, entgegen, und in der Ausbildung des Schmuckes liegt ja ein Hauptfaktor der kulturellen Entwickelung des Menschengeschlechts. Schon aus jenen Zeitabschnitten, die wissenschaftlich als älteste Steinzeit bezeichnet werden, tritt uns Schmuck in wechselreichen Formen entgegen, an den Gegenständen zum häuslichen Gebrauch sowohl als an den zur Verteidigung dienenden Geräten. Von Periode zu Periode immer feiner, schöner und mannigfaltiger ausgebildet, erreicht so der Schmuck allmählich die kunst- und stilvollen Formen der neueren Jahrhunderte. So lange nun der Mensch sich schmückt, so lange kennt er auch den Bernstein. Im Bernsteinmuseum zu Königsberg i. Pr. befinden sich von den Menschen der Steinzeit gefertigte Bernsteinarbeiten. Diese Amulette und Schmuckgegenstände aus Bernstein stammen etwa aus dem Jahre 1000 vor unserer Zeitrechnung. Sie haben in einer Tiefe von 6 bis 9 Meter in dem Grunde des Kurischen Haffes gelegen und sind von dort durch gelegentliche Tiefbaggerungen herausgeholt

STOCKGRIFF AUS BERNSTEIN

Fr. Rosenstiel, Hoflieferant, Berlin.

die ostpreußischen Lande. Von 150 v. Chr. ab, als das aufblühende römische Reich nur nach Erweiterung seines Besitztums trachtete, verfiel der Bernsteinhandel gänzlich. Erst zu Beginn der christlichen Zeitrechnung wurde der Bernstein unter dem Namen „Elektrum" so gut wie neu entdeckt. Nun nahm ihn die Mode unter ihre mächtige Protektion und brachte ihn unter dem Namen „Succinum" zu hohen Ehren; sein Wert und seine Bedeutung stiegen schnell mit dem zunehmenden Luxus, und die verschiedensten Sachen, wie

Gewandnadeln, Knöpfe, Nippes, kunstvolle Schnitzereien, Pokale u. s. w., wurden aus ihm angefertigt. Als durch einen Zufall auf einem Schiffe syrischer Seeräuber große Mengen Bernsteins vorgefunden wurden und die Römer hörten, daß dieser Stoff in den nördlichen Meeren an weißen Uferbergen vorkäme, ließ Nero sofort eine besondere militärische Gesandtschaft nach dem Norden ausrüsten, um den Bernstein zu holen. Durch diese Expedition wurde die Bernsteinküste des Samlandes dem römischen Handel erschlossen, der bisher auf den indirekten Bezug angewiesen war. Im Austausche gegen Bernstein gelangten nun große Massen von römischen Erzeugnissen nach Ostpreußen, und die Gräber des 1. bis 3. Jahrhunderts sind überreich an römischen Arbeiten. Wenn auch mit dem Vordringen nördlicher Völker nach dem Süden der Bernsteinhandel immer mehr zurückging, so hat doch ein solcher noch während des ganzen Mittelalters bestanden, dafür sprechen besonders Grabfunde von Bernsteinperlen in Süddeutschland aus dem 7. und 8. Jahrhundert. Erst im 14. Jahrhundert wurde dann wieder in hervorragender Weise für den Vertrieb des gewonnenen Bernsteins gesorgt und zwar durch den deutschen Ritterorden, der mit den preußischen und pommerschen Landen auch das sogenannte Bernsteinregal besaß. Der Orden ließ große Lagerhäuser mit sortierten Vorräten in Brügge, Lübeck, Augsburg, Venedig errichten. Auch der Gründung von Bernsteindreherzünften, sogenannten Paternostermachern, wurde jeder Vorschub geleistet. So entstand eine Bernsteindreherzunft 1302 in Brügge,

in den Jahren 1800 und 1810 sich direkt Verluste aus dem Bernsteinregal ergeben hatten, und die Einnahme von 1816 ab ziemlich gleichmäßig 40100 Mark betrug, ist sie im Jahre 1898 bis auf 510083 Mark gestiegen. Der aus der See oder der Erde gewonnene Bernstein wird möglichst nach den natürlichen Sprüngen zerteilt, von allen Unreinigkeiten befreit und nach Umfang, Form und Farbe in eine große Anzahl von Handelssorten geteilt. Diese passen sich in Größe, Stückzahl, Gewicht u. s. w. vollständig den verschiedenen Zweigen der Bernsteinindustrie an. Auch als im Jahre 1899 die Gesamtanlage der Firma Stantien & Becker in den Besitz des

BERNSTEINKOLLIER

Von Fr. Rosenstiel, Hoflieferant, Berlin.

1310 eine solche in Lübeck. Später wurden noch in Stolp, Kolberg, Köslin und Danzig derartige Zünfte gegründet.

Doch erst in neuester Zeit, um die Mitte des 19. Jahrhunderts, beginnen eine vollständige Umgestaltung und ein ungeahnter Aufschwung des Handels mit Bernstein und der Verarbeitung desselben. Die Firma Stantien & Becker, die auf Grund von Pachtverträgen die Ausbeutung übernommen hatte, vermehrte durch die Anwendung neuer technischer Hülfsmittel, wie Bagger, Taucher und Bergbau, die Produktion von Rohbernstein derart, daß die Einkünfte des Staates aus dem Regal sich in großartiger Weise steigerten. Während

preußischen Staates überging, blieb diese Herausbildung des feinsten Sortiments das leitende Prinzip. Man unterscheidet mehr als hundert solcher Handelssorten, deren Preise von 1-300 Mark für das Kilogramm schwanken. Am meisten geschätzt sind die mit dem Namen „Fliesen" bezeichneten Stücke, die mindestens 75 Millimeter dick, ebenso breit und 25 Zentimeter lang sind. Sonst ziemlich gleich geformte, jedoch flachere Stücke nennt man „Platten“; beide finden ihre Verwendung gegenwärtig

fast nur zu Zigarrenspitzen, Ansätzen für Pfeifen u. s. w. Die mehr runden Bernsteinstücke werden dagegen hauptsächlich zur Perlenfabrikation verwendet, von den großen Korallen für den Export nach weniger kultivierten Gegenden bis zu den feinen, in Brillantschliff ausgeführten Perlenschnüren. Sie geben das Material für gröberen Schmuck, für die Betkränze der Katholiken und Mohammedaner, für die bläulich gelben, olivenförmigen Kolliers

[graphic]

und für die Mundstücke zu den türkischen Pfeifen. Die ganz kleinen „Firnis" genannten Bernsteinstückchen werden geschmolzen und liefern einen wegen seiner Härte und Beständigkeit sehr geschätzten Lack.

Das eigentliche Kunstgewerbe in der Bernsteinindustrie hatte sich nun im letzten Jahrhundert, namentlich im Vergleich zu früheren Kulturepochen, fast gar nicht geltend gemacht. Nur noch in Museen finden wir Gegenstände, welche Zeugnis davon ablegen, wie sehr der Bernstein einst für das Kunsthandwerk geschätzt wurde. Seine reizvollen, farbigen Verschiedenheiten, die helleren und dunkleren, klaren und matten,

BROSCHE

MIT BERNSTEIN Juwelier C. Steyl,

Königsberg.

gesprenkelt gelben und rötlichen Stücke wußte man beim Belegen von Truhen u. s. w. aufs beste anzuwenden, und die Schnitzereien wurden mit großer Meisterschaft ausgeführt. Auch die nicht seltene Verbindung mit Gold beweist, wie hoch damals der Bernstein bewertet wurde. Kleine Schüsseln, Schalen, aus Bernstein zusammengesetzt, waren damals sehr beliebt, ebenso zierliche Löffel, und wir erfahren, daß Luther einen solchen einem Fürsten zum Geschenk machte. Besonders im 17. und 18. Jahrhundert fand der Bernstein Verwendung zu wertvollen Gegenständen,

selbst als Auflage zu Möbeln. Ein prachtvoller, überreich mit Schnitzereien verzierter Schrank, ein Geschenk Georgs II. von England, ist gegenwärtig im Privatbesitz in Amsterdam. Ein großer Schrank aus der Zeit Augusts des Starken steht in Dresden. Bekannt ist, daß der schönste Bernsteinschatz, welchen unser preußisches Königshaus besaß, das berühmte Bernsteinkabinett, von Friedrich dem Großen dem russischen Hof als Geschenk übersandt wurde. Im Berliner Kunstgewerbemuseum sind noch mehrere Kunstwerke aus Bernstein aufbewahrt, die aus der königlichen Kunstkammer stammen. Später aber verlernte man fast ganz die geschmackvolle Anwendung des Bernsteins. Das edle, prächtige Material wurde hauptsächlich zu Zigarrenspitzen, Mundstücken für Pfeifen, höchstens zu grobem Schmuck und zu Perlen, die einfach abgedreht wurden, verwendet. Da gab die letzte Weltausstellung in Paris, auf welcher das preußische Ministerium für Handel und Gewerbe eine Sammelausstellung der deutschen Bernsteinindustrie veranstaltete, neue Anregung, das Kunstgewerbe auch auf diesem Gebiete zu fördern. Vierzehn Fabrikanten aus ganz Deutschland wurden zur Beteiligung an der Ausstellung aufgefordert, und es wurden zum Teil ganz hervorragende Bernsteingegenstände von künstlerischem Werte nach Paris gesandt. In dem mit Bernstein gleichsam tapezierten Raume bildete diese Abteilung ein überaus fesselndes und originelles Schaustück, das denn auch mit dem „grand prix" ausgezeichnet wurde. Es ist nun zu erwarten, daß dieser Eindruck auf der petersburger Ausstellung noch erhöht sein wird. Wie in Paris sind die verschiedenen Handelssorten des Bernsteins in hohen Glasschränken zur Anschauung übereinander geschichtet worden, so gleichsam Bernsteinwände bildend. Und wiederum sind wundervolle Sachen eingeliefert worden, gänzlich neu im Entwurf, in der Verbindung des Bernsteins mit Edelmetall; es kommt hauptsächlich oxydiertes Silber mit leichter Goldtönung, der Färbung des Bernsteins entsprechend und daher sehr vornehm wirkend, in Anwendung. Da hat die Juwelierfirma Carl Steyl in Königsberg i. Pr. eine reich ziselierte Prunkschale eingesandt, die nach einem Entwurfe

von Ofterdinger gearbeitet wurde; sie ist gedacht als ein aufgeregtes Meer, auf welchem Wellen und Tangmassen mit abgerollten Bernsteinstücken, die zum Teil die Gestalt von Wasserbewohnern erhalten haben, ihr Spiel treiben. Nicht geringere Aufmerksamkeit verdienen vier schöne, große Silberpokale in der Art alter, edelsteinbesetzter Kirchenpokale, mit rundgeschliffenem klarem und trübem Bernstein besetzt. Ferner sind reizende Broschen vorhanden, welche beweisen, daß dem Bernstein die ihm vielfach abgesprochene Berechtigung, zu feinem, geschmackvollem Schmuck zu dienen, doch zukommt. In anmutig stilisierte, oxydiert silberne Blumenformen sind in diskreter Weise runde oder längliche Bernsteinperlen eingesetzt. Wirkt in dieser Verwendung der grünlich- oder bläulichweiße, leicht geäderte Bernstein in seinem matten Schimmer dem Opal ähnlich, so zeigt sich der durchsichtig klare, besonders in runder Form, oft von lebhafterem Feuer

[graphic]

SILBERPOKAL MIT BERNSTEIN BESETZT Juwelier C. Steyl, Königsberg.

als selbst der Topas. Ein köstliches, vielreihiges Kollier aus matten Bernsteinperlen, gehalten von Agraffen aus klar geschliffenen Bernsteinperlen, mit Brillanten eingefaßt, möchten wir noch erwähnen. Es hat einen Wert von 4500 Mark. Dann hat die Firma Fr. Rosenstiel in Berlin, von der wir schon in Paris künstlerische Schnitzereien in Bernstein sahen, höchst prächtige Sachen eingesandt. Da ist in einer prachtvollen, großen, buntgerippten, glattpolierten Bernsteinmuschel die Geburt der schaumgeborenen Aphrodite dargestellt. Die warmen Töne der aus Elfenbein fein und weich geschnitzten Figur harmonieren aufs beste mit dem Gelb des Bernsteins. Ein anderes Stück stellt eine Nymphe auf einem Meeresfelsen ruhend dar, hier ist der Bernstein teils roh und rissig, teils poliert gehalten. An beiden Sachen hat man den Bernstein in jener malerisch wirkenden Weise zu behandeln gewußt, wie es unsere Vorfahren im 17. und 18. Jahrhundert verstanden; auch damals hat man ja die reizvollen Zufälligkeiten des Bernsteins mit seinen weißgeflammten Mustern zu reizvollen Kompositionen benutzt. Dieselbe Firma sie ist 1825 gegründet und exportiert Mundstücke für Zigarren- und Pfeifenspitzen, hauptsächlich nach Holland, Nordund Südamerika und der Türkei hat auch die höchst aparten Schmucksachen und glatte feine montierte Waren für Rauchgeräte gesendet.

[graphic]

BERNSTEINKOLLIER

Juwelier C. Steyl, Königsberg.

[ocr errors]
[graphic]
« PreviousContinue »