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Geistiger Diebstahl

Künstlerisches Eigentum.

Die Begriffe Mein und Dein sind bekanntlich öfter im Leben strittiger Natur, als es für Eintracht und gute Sitte wünschenswert wäre. Manchem gelingt es, wie ein bekanntes Sprichwort sagt, nie, darüber so recht ins klare zu kommen und dann nur mangelhaft. Ein ganz besonders peinliches und zweifelhaftes Gebiet betreten wir, wenn wir die Frage des künstlerischen Urheberrech

Eigentum und Diebstahl, zwischen Mein und Dein zu ziehen.

Damit, daß man sagt, der Künstler habe Eigenes zu produzieren und sich fremder Entleihungen zu enthalten, ist die Sache eben noch keineswegs klargestellt. Denn es arbeitet nicht ein Künstler wie der andere. Dem Genie quillt das Neue, das Originale, das noch nie Dagewesene aus dem Innern in unhemmbarer Fülle; wie der Schwan auf unserer Titelvignette, wirft er die Gaben seines Genius mit verschwenderischer Hand unter die Menge. Anders arbeitet das große, starke Talent. Das muß studieren, fremde Anregungen zusammentragen, muß sich Fremdes assimilieren. Erst dadurch, daß es sich möglichst viel von außen zu eigen

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tes zu prüfen versuchen, und zwar nicht vom juristischen Standpunkt aus - dies soll einer kundigen Feder vorbehalten bleiben sondern vom Standpunkte des Taktes und des Anstandes.

Ein Künstler - wir reden hier natürlich speziell von dem kunstgewerblichen Zeichner, der den künstlerischen Bedarf einer Industrie, beispielsweise des Gold- und Silberschmiedegewerbes, zu decken hat ein solcher Künstler also hat die Aufgabe, neue Muster zu produzieren, oder anders ausgedrückt, neue Formgedanken, neue künstlerische Werte zu schaffen. Was er an solchem Neugefundenen produziert, ist sein geistiges Eigentum, resp. dessen, der dieses Eigentumsrecht von ihm erwirbt. Wer von einem derartigen Muster, Entwurf, neuem Formgedanken, oder wie wir es nennen mögen, Nutzen zieht, wer es ausnutzt, ohne Eigentümer desselben zu sein, der handelt unreell, der bestiehlt den rechtmäßigen Eigentümer. Das scheint so einfach, so klar, so einleuchtend, daß es einem beinahe wundern muß, daß es darüber noch besondere Gesetze geben muß, daß es darüber so viele und peinliche Auseinandersetzungen geben kann. Und doch, so klar die Sache an und für sich ist, so außerordentlich schwer ist es in den meisten Fällen, gerade auf diesem Gebiete die Grenze zwischen

gemacht hat, wird es fruchtbar und fähig, aus dem Schatze des so Erworbenen Eigenes und Neuartiges zu formen. Das kleine Talent, die Geschicklichkeit, die bloße zeichnerische Gewandheit ist wieder anders zu bewerten. Es kommt nur vorwärts, es hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn es auf Eigenes im eigentlichen Sinne des Wortes verzichtet, wenn es sich im Strome der momentanen Mode treiben läßt. Was alle wollen, was allen geläufig ist, das ist seine künstlerische Sphäre. Hier gilt es nicht, äußere, fremde Anregungen sich zu eigen zu machen, sondern sie zu benutzen, auszuschlachten, anzuwenden. Was Genie und Talent geschaffen, wird hier für den Geschmack der breiten Masse mundgerecht gemacht ,,Wenn die Könige baun, haben die Kärrner zu tun." In diesem allen aber ist nichts, das man unreell oder unehrlich nennen müßte. Wir können das Kunstbedürfnis des großen, ungeschulten Publikums nicht ausschließlich mit Werken großer Künstler befriedigen. Auch wollen die kleinen Künstler die unselbständigen Talente, eben auch leben. Und sie müssen da sein und leben, denn sie sind die Verbreiter und Verallgemeinerer dessen, was die Pfadfinder, die großen Sucher und Neuerer entdeckt und zu Tage gefördert haben. Wo fängt nun also der geistige, künstlerische Diebstahl an? Ich denke, überall da, wo man von dem Künstler erwartet, daß

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er Eigenes gebe, und wo er mit Bewußtsein Fremdes gibt resp. unterschiebt. Damit ist jedenfalls der Tatbestand des geistigen Diebstahls von Seiten des Künstlers gegeben. Aber damit ist immer noch kein Maßstab gegeben, an dem ohne weiteres eine Entscheidung über den einzelnen Fall ermöglicht werden könnte. Denn wir müssen bedenken, daß neben dem Recht des Einzelnen auf das von ihm Gefundene (oder Erworbene) das Recht der Allgemeinheit steht, an diesem Gefundenen bis zu einem gewissen Grade teilnehmen zu dürfen ein Recht, das mit der Zeit stärker wird, bis es schließlich das Recht des Einzelnen auflöst.

Man muß sich, um über diesen Punkt klar zu werden, nur einmal in die Zeiten zurückversetzen, die wir alle noch miterlebt haben, an die Jahre, da man in kunstgewerblichen Kreisen ganz allgemein glaubte, daß nur im Studieren und Nachahmen vergangener Stilperioden, in möglichster Anlehnung an,,Unserer Väter Werke" das Heil liege. Hat man damals „Geistigen Diebstahl" im Großen betrieben, oder war man künstlerisch, nicht juristisch gesprochen dazu berechtigt, aus den hinterlassenen Schätzen vergangener Geschlechter sich eine neue Kunst zu zimmern? Es kann in diesem Falle über die bejahende Antwort gar kein Zweifel sein: Wir hatten und haben heute noch das Recht, den gesamten historischen Formenschatz nach unserm Gutdünken auszunutzen, sofern wir kein Hehl daraus machen, was entlehnt und was unser Eigentum ist. Wenn man uns nun das Recht zugesteht, nach Belieben von den Werken der Künstler früherer Zeiten zu lernen, will man uns dasselbe nicht auch bei den jetzt lebenden, führenden Künstlern gönnen? Es wird doch allgemein verlangt, es müsse im Geiste unserer Zeit gearbeitet werden. Nicht nur das treue Nachahmen, nein, sogar die Anklänge an historische Stilformen sind allgemein verpönt. Soll nun jeder Künstler, das kleine Talent wie das große, sich seinen eigenen, von allen andern unabhängigen, modernen Stil erfinden? Das zu verlangen wäre unsinnig. Ebensogut, wie wir heute ein allgemeines und unbestrittenes Recht haben an den hinterlassenen, künstlerischen Formenschatz unserer Altvordern, ebensogut hat die Allgemeinheit heute also in diesem, unserm besondern Falle, die große Menge unserer kunstgewerblichen Zeichner ein Recht darauf, den Schatz neuer Formen, den unsere führenden Künstler gefunden haben, auszunutzen. Freilich kein unbeschränktes.

Vielmehr und hier sind wir wohl an dem springenden Punkte angekommen hat dieses Recht seine enggezogenen und streng zu respektierenden Grenzen. Wie weit diese Grenze geht, wo sie läuft, darüber kann ein Vergleich vielleicht einige Klarheit geben.

Nehmen wir an, es hat ein moderner Schriftsteller durch seine schwungvolle, fließende Sprache mit einer Erzählung besonderen Erfolg gehabt. Dann hat ohne Frage jedermann das Recht, ebenso schwungvoll und schön zu schreiben, wie dieser Dichter, wenn er dazu Lust hat und wenn er es fertig bringt. Aber niemand hat das Recht, ganze Kapitel oder auch nur einzelne Sätze aus dessen Werken einfach abzuschreiben und sie als seine eigenen auszugeben. So ist es auch mit der modernen, ornamentalen Kunst der Gegenwart. Wenn da ein neues, starkes Talent auftritt und mit der originellen und reizvollen Formensprache seiner Entwürfe und gewerblichen Arbeiten von Erfolg zu Erfolg eilt, so wäre es Torheit und Pedanterie, dem kleinen, bescheidenen Talent wehren zu wollen, daß er sich die ornamentalen Besonderheiten dieser Formensprache aneignet und ihre Schönheit sich nutzbar macht. Aber geistiger Diebstahl wäre es von diesem, wenn er es sich beikommen ließe, ganze Entwürfe oder einzelne Ornamente des erfolgreichen Vorbildes einfach zu kopieren und für seine eigene Erfindung auszugeben.

Man liest in unsern modernen kunstgewerblichen Zeitschriften oft Klagen darüber, einesteils, daß so viel unselbstständiges und auch unreelles Nachempfinden von künstlerisch

erfolgreichen Vorbildern zu finden sei; und andernteils, daß sich die Sucht nach Originalität um jeden Preis, nach dem noch nie Dagewesenen auf Kosten des guten Geschmackes so sehr breit mache. Gewiß ist Grund zu diesen Klagen vorhanden, wenn sie sich auch äußerlich zu widersprechen scheinen. Aber man darf eben die Schnüfflerei nach Anlehnungen und Nachempfindungen nicht zu weit treiben, sonst hetzt man selbst zur Originalitätshascherei. Schließe sich jeder ruhig an eine bestimmte Richtung, an einen bestimmten führenden Meister an, bis er das Zeug dazu in sich fühlt, auf eigenen Pfaden vorwärts zu kommen.

Wenn wir es also für das Recht des Einzelnen erklären, an dem erfolgreichen Schaffen hervorragender Künstler insofern zu partizipieren, als er an der neuen Formensprache desselben die eigene nach Möglichkeit zu bereichern sucht, so müssen wir andererseits das teilweise oder vollständige Kopieren, sofern es nicht zu Studien-, sondern zu Erwerbszwecken betrieben wird, so scharf als möglich brandmarken. Unsere Zeit mit ihrer ungeheuren Produktivität, mit ihrer überflutenden Fülle von Ausstellungen, Abbildungen, Zeitschriften und Vorbilderwerken macht es ja zur vollkommenen Unmöglichkeit, über alle Neuerscheinungen kunstgewerblicher Natur sich vollständig auf dem Laufenden zu erhalten. Da ist es denn sehr verlockend für den Zeichner, sich einmal die Arbeit des Entwerfens und Neu-Hervorbringens durch ein ,,Bißchen Anlehnen" leichter machen zu wollen und darüber ins Kopieren zu geraten immer mit der heimlichen Entschuldigung: „Das merkt ja niemand." Je begründeter diese Hoffnung tatsächlich in vielen Fällen ist, je weniger es dem Geschäftsmann oder dem sonstigen Besteller eines Entwurfes möglich ist, nachzuforschen, ob hier ein eigener Entwurf oder eine halbe oder ganze Kopie vorliegt, um so unwürdiger, um so unanständiger ist ein solcher Diebstahl.

Selbstverständlich kann nicht nur der Zeichner, der industrielle Künstler in die Versuchung kommen, geistigen und künstlerischen Diebstahl zu begehen, sondern auch der Geschäftsmann, der Fabrikant. Er kauft irgendwo ein Stück, einen Schmuck, einen silbernen Gegenstand, irgend etwas, was in seine Fabrikation paßt und was ihm Erfolg zu versprechen scheint, um es zur Anregung zu benutzen. Das ist sein gutes Recht; er braucht stetige Anregung, sonst geht seine Fabrikation zurück und aus Wald und Feld kann er seine Anregung nicht holen, sondern nur aus den Erzeugnissen der Konkurrenz. Er kann nun diese Erzeugnisse auf irgend eine mechanische, keinerlei selbständige Geistes- und Künstlerarbeit erfordernde Weise kopieren lassen. Dann stiehlt er, stiehlt das geistige Eigentum seines Berufsgenossen. Oder er kann diese Arbeit dazu benutzen, um sich und seinem Personal neue Aufgaben zu stellen, zu neuen Anstrengungen anzuspornen. Dann hat er es im eigenen und im Interesse seines Geschäftes, aber in anständiger und ehrenhafter Weise benutzt.

Man sieht, daß in vielen Fällen die Entscheidung, ob geistiger Diebstahl vorliegt oder nicht, Ansichtssache ist. Es wird keineswegs immer zweifellos sein, ob eine erlaubte Anlehnung oder eine unerlaubte Anleihe vorliegt. Und häufig wird es nicht Sache des Juristen, sondern des künstlerisch gebildeten Fachmannes sein, darüber zu entscheiden, ob in der Mischung einer Arbeit das Gestohlene oder Entliehene, oder aber das aus Eigenem dazu Gegebene überwiegt, und ob demgemäß eine Streitfrage unter einen gewissen Gesetzesparagraphen fällt oder ob sie darunter durchschlüpft.

Einem jeden Geschäftsmann und Künstler unserer Branche aber sollte es ein Anliegen sein, stets so zu handeln, daß er dieser Grenze womöglich gar nicht nahe kommt. Und das beste Mittel dazu ist, seine persönliche und geschäftliche Leistungsfähigkeit zu einer so hohen und eigenartigen wie nur möglich zu machen.

Wer selbsterworbenen Eigenbesitz hat, den gelüstet es nicht nach dem Eigentum anderer.

Russischer Brief.

Von Dr. Heinrich Pudor.

Petersburg steht gegenwärtig unter dem Zeichen der ersten internationalen Trachtenausstellung, bei der zugleich die Schmuckindustrie offiziell eingeladen war. Zunächst sei erwähnt, daß die Protektorin der Ausstellung die Großfürstin Xenia Alexandrowna ist. Der Arbeitsausschuß der deutschen Abteilung besteht aus dem Ehrenvorsitzenden Geheimen Rat von Timiriaseff, dem Vorsitzenden Kommerzienrat Ferdinand Manheimer und den Mitgliedern Fritz Gugenheim, Siegfried Karo und Alex. Rosenthal. Den Ehrenplatz nehmen in der deutschen Ausstellung die auf Befehl des Kaisers ausgestellten Uniformen der brandenburgisch-preußischen Armee 1680-1902 ein. Nächstdem tritt am meisten Achtung gebietend die Bernsteinausstellung des preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe (Geschäftsleiter Professor Dr. Klebs, Königsberg) auf. Diese letztere Ausstellung ist in der Tat auf eine höchst geschmackvolle Weise arrangiert, wobei sowohl dem wissenschaftlichen als dem künstlerischen Interesse in gebührender Weise Rechnung getragen ist. Es sind Karten und Tabellen ausgestellt, aus denen die Verbreitung und Gewinnung des Bernsteins ersichtlich wird, ferner eine Anzahl Handelssorten des Rohbernsteins und Preßbernsteins, weiter die hauptsächlichsten Formen des ältesten Bernsteinschmuckes und endlich moderne kunstgewerbliche Bernsteinbearbeitungen von Fr. Rosenstiel, Th. Fiedler in Königsberg, A. Zausmer in Danzig etc. Auch eine kleine Sammlung findet sich, welche die von Bernstein während seines Ausflusses eingeschlossenen Pflanzenreste und Tiere zeigt.

Carl Steyl, Königsberg, hat eine große getriebene Schale nach dem Entwurf Professor Offterdingers, Hanau, ausgestellt; dieselbe enthält 37 Stücke Bernstein in den verschiedensten Formen. Unter den Goldwaren sei ein Kollier aus neun Reihen Bernsteinperlen mit Verwendung kleiner Brillanten in Platinafaçon hervorgehoben. Die im neuen Stil gehaltenen Broschen sind teils in Silberoxyd, teils in abgetönter Vergoldung mit Verwendung von Bernstein ausgeführt.

Die Bernsteinwarenfabrik von Gustav Friedrich in Oliva bei Danzig hat eine reiche Kollektion geschickt, von der wir einen prächtigen Bernsteinständer nebst Urne und einen aus blauem matten und grünem klaren Bernstein zusammengestellten und mit geschmackvollen Schnitzereien geschmückten Spiegelrahmen erwähnen. Endlich seien die Versuche von Erhard & Söhne in Schwäbisch-Gmünd, den geschliffenen Bernstein auch für Luxusgegenstände in Verbindung mit Bronze zu verwenden, erwähnt; die verwendete Bronze ist hierbei gegossen und fein nachciseliert, teils in brauner Patina gefärbt, teils versilbert und oxydiert. Die Montierungsarbeit muß sehr sorgfältig geschehen, da der Bernstein sehr empfindlich ist.

Ganz besondere Anstrengungen hatte die österreichische Industrie gemacht, um in Petersburg den stärksten Eindruck zu machen. Und in der Tat ist die österreichische Manufaktur- und Textilbranche in Petersburg quantitativ und qualitativ ausgezeichnet vertreten. Wenn man diese österreichische Abteilung sieht, möchte man als Deutscher beklagen, daß sich die deutsche Industrie nicht noch in ausgedehnterer Weise an der Petersburger Ausstellung beteiligt hat. Gegenwärtig nimmt allerdings der österreichische Export nur etwa den 7. bis 8. Teil des deutschen Exportes nach Rußland ein. Aber wie gesagt, Österreich macht bedeutende Anstrengungen, desgleichen Italien. Dabei wolle man nicht befürchten, daß der russische Bedarf zurückgehen werde. Vorläufig ist hieran nicht zu denken. Denn Rußland vermag weder die einfachsten industriellen Erzeugnisse, wie Hosenschnallen, noch kunstgewerbliche Produkte herzustellen. Wo etwas davon auf russischem Boden hervortritt, sind es Deutsche, die die Sache angefangen haben. Nun wird allerdings der Export

nach Rußland durch den hohen Zoll sehr erschwert. Aber einerseits wird es sich empfehlen, für einzelne Produkte auf russischem Boden Filialfabriken zu errichten, und andererseits ist auch der höchste Eingangszoll nicht imstande, den deutschen Industrieprodukten in Rußland den Boden abzugraben. Am meisten ins Auge fallend ist die Unfähigkeit Rußlands, in allen Branchen, welche kunstgewerbliche Anforderungen stellen, etwas zu leisten. Man mag sämtliche Gebiete des Kunstgewerbes durchgehen, und man wird, vielleicht von den im Süden Rußlands produzierten Teppichen abgesehen, nichts finden, was Rußland aus eigener Kraft erzeugen könnte. Die Aussichten für den Absatz wären also in Rußland, gerade was kunstgewerbliche Produkte betrifft, ohne Grenzen, wenn nicht der Russe, besonders in der Provinz, noch so tief im Barbarismus stecken würde, daß er für jede feinere und delikate Ausschmückung seines Heimes und seiner Person keine Neigung hat. Der wesentliche Schmuck eines russischen Zimmers und beinahe die einzige Zierde desselben bildet das Heiligenbild und die nie ausgehende Lampe. Im übrigen hat der Russe, von den wenigen fürstlichen Familien abgesehen, keine ästhetischen Aspirationen. Für die nächste Zukunft ist hierin auch noch keine Besserung zu erwarten, denn die Art, wie die Russen bisher die westeuropäische Kultur aufgenommen haben, ist nur mit dem Worte,,verständnislos" zu bezeichnen.

Was im besonderen die Goldschmiedeindustrie betrifft, die uns hier am meisten interessiert, so haben wir zunächst von der in geschäftlicher Beziehung erfreulichen Tatsache Notiz zu nehmen, daß der Absatz für Silber- und Goldschmiedearbeiten in Rußland ein außerordentlich günstiges Feld findet. Die Vorliebe für Edelmetall ist dem Russen sozusagen angeboren, wie dies nicht am wenigsten beispielsweise aus der russischen Architektur erhellt, deren wertvollster Bestandteil die goldschimmernde Kuppel der Kathedrale bietet. Und wenn man in die Säle des großen Zarenschlosses im Moskauer Kreml tritt, so flutet einem gleichsam das Gold entgegen und von Pfeilern und Wänden scheint Gold zu fließen. Und ähnlich ist es im Innern der Kathedralen. Wie viele Millionen dazu verwendet werden, die russischen Kirchen mit Gold und Edelsteinen zu füllen, ist zur Genüge bekannt. Uns interessiert hier besonders, wie auch die sehr bedeutende russische Industrie für Heiligenbilder die Edelmetallindustrie in Nahrung setzt, dadurch, daß meistens nur der Kopf des Heiligen auf Leinwand oder Holz gemalt wird, während alles übrige in Silber oder in Gold ausgeführt wird. Und auf diesem Gebiete hat erfreulicherweise die alte russischorientalische Tradition sich so lebenskräftig erwiesen, daß die auf anderen Gebieten der russischen Edelmetallindustrie bedauernswerterweise zu Tage tretende Stilverwirrung und Stilbrutalität hier sich am wenigsten breit machte. Wenn es nämlich wahr ist, daß der Russe und besonders die Russin sich mit Edelsteinen und Geschmeiden behängen, soweit nur irgendwie dazu Raum und Gelegenheit gegeben ist, daß also eine reiche Russin beispielsweise mindestens zehn Ringe an den Fingern trägt, so ist von einer feineren ästhetischen Auffassung des Schmuckes in Rußland nicht die Rede. Ähnlich wie es auch in England nur darauf ankommt, daß überhaupt ein Reichtum an Edelmetallgeräten und -geschmeiden zur Schau getragen wird, ist es auch dem Russen in der Hauptsache um die Masse und um den Materialwert zu tun. Die moderne künstlerische Strömung also gerade, welche die Arbeit des Goldschmiedes und den Entwurf des Künstlers wieder zu Ehren bringt, ist in Rußland kaum schon zu spüren. Das schließt indessen nicht aus, daß, da nun einmal die Liebe am Prunk und das Gefallen an allem Glänzenden, Glitzernden und Gleißenden gerade in Rußland so

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