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Die Einheit des Goldschmiedegewerbes.

Von R. Rücklin.

Die Gesamtentwickelung eines jeden Gewerbes, das Wort in seiner umfassendsten Bedeutung, vom Handwerk bis zur Großindustrie, genommen, beruht auf dem Prinzip der Arbeitsteilung. Jedes Einzelgewerbe charakterisiert sich dadurch, daß seine Angehörigen sich auf die eine oder andere Weise an der Erzeugung einer bestimmten Warenspezialität beschränken, aus deren Absatz sie ihren Arbeitsgewinn ziehen. Ein Gewerbe wird also blühen, wenn in seinen Abnehmerkreisen das Interesse und die Kauflust für seine Erzeugnisse in genügendem Maße vorhanden sind, und wenn seine Angehörigen durchweg so arbeiten, daß beides erhalten und gefördert wird.

Das Interesse des Publikums an den Erzeugnissen unseres Goldschmiede- oder Feinmetallgewerbes wird abhängig sein von einer derartigen Beschaffenheit derselben, welche seinen Wünschen und seinem Geschmack entspricht, seine Kauflust wird hauptsächlich durch angemessene Preise gefördert werden. Daß für diese beiden Gesichtspunkte unser Gewerbe bei dem kaufenden Publikum in gutem Rufe stehe, daß dieses ihm dafür das nötige Vertrauen schenkt und Glaubwürdigkeit beimißt, ist die praktische Grundlage für eine gesunde und nachhaltige Blüte desselben.

Die Angehörigen des Goldschmiedegewerbes, vom Arbeiter bis zum Großindustriellen, werden aber nur dann auf die Erreichung dieses von allen gewünschten Zustandes gemeinsam hinarbeiten können, wenn jeder an seinem Platz und an seiner Arbeit die richtige Freude und befriedigenden Gewinn haben kann; wenn sich also weder unlauterer Wettbewerb, noch kapitalistische Ausnutzung der Arbeitskraft in schädlicher Weise breit machen.

Niemand wird leugnen, daß ungemein vieles daran fehlt an dem, was diese eben angeführten Sätze als Grundlage einer gesunden Blüte des Goldschmiede- und Feinmetallgewerbes verlangen. Und es wird auch niemand behaupten, daß es eine einfache Sache sei, hier Wandel zu schaffen. Jeder Versuch zur Verbesserung dieses oder jenes besonders empfind

stößt auf eine Fülle sich kreuzender Interessen, so daß man versucht sein könnte, das Wort von einer Einheit unseres Gewerbes für eine bloße Schimäre zu halten. Eine Einheit ist ja sicher vorhanden, die der Berufsspezialität. Von Einigkeit freilich zu reden, wird auch der unverbesserlichste Optimist zur Zeit nicht in Versuchung kommen.

Die überaus große Menge sich kreuzender Interessen in dem Organismus unseres Gewerbes beruht auf der immer komplizierter werdenden Berufs- und Arbeitsteilung innerhalb desselben. In welch eine ungeheure Summe mannigfaltigster Spezialitäten hat sich die typische Figur des Goldschmiedemeisters, der selbst produziert und direkt verkauft, heutzutage zerlegt und entwickelt! Es ist an dieser Stelle am wenigsten nötig, sie mit Namen aufzuführen. Sie alle stellen ihre Ansprüche an berufliche und wirtschaftliche Befriedigung. Kein Wunder, daß da Übergriffe vorkommen, kein Wunder, daß dem einen oft das als gutes Recht und dringendes Bedürfnis erscheint, was der andere als schädlich und ungerechtfertigt verwirft.

Man kann sich durchaus darüber einig sein, daß in dieser Beziehung schwere Mißtände herrschen, ohne daß man sich deshalb auf dem Boden praktischer Besserungsversuche zu finden vermöchte. Blickt man in die zwei letztvergangenen Jahrhunderte zurück, so sieht man, auf wie außerordentlich verschiedene Weise schon versucht worden ist, der gewerblichen Betätigung

BOUTET DE MONVEL, PARIS.

BRUSTSCHMUCK.

zugleich Schutz und Freiheit zu verschaffen. Das 18. Jahrhundert hat noch den Zunft- und Innungszwang, jene aus dem Mittelalter stammende Institution, die die vor allem auf den Schutz des einzelnen bedacht war und die freie Konkurrenz in unerbittlichen Banden hielt. Wenn auch die alten Zunftbestimmungen, neben dem Bestreben, jedem einzelnen Angehörigen des Gewerbes sein bestimmtes Auskommen zu sichern, zugleich streng darauf sahen, durch Kontrolle der fertigen Erzeugnisse auf ihre Gediegenheit das Ansehen des Gewerbes zu heben, so vergessen sie doch eines völlig, daß nämlich der freie

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PROF. P. BEHRENS, DÜSSELDORF: SCHMUCKSTÜCKE UND STOCKGRIFF. AUSGEFÜHRT VON J. B. SCHREYER, HOFJUWELIER, DARMSTADT.

Aus: Deutsche Kunst und Dekoration, Verlag Alex. Koch, Darmstadt.

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jeden Fortschrittes ist. Und der alte, stolze Handwerksgeist, der einst die Zünfte geschaffen und bis zu politischer Machtentfaltung zu bringen wußte, war mit der Zeit durch die hartnäckige Negierung des freien Wettbewerbes zur Personifikation spießbürgerlicher Beschränktheit und fortschrittfeindlicher Passivität geworden. Das 19. Jahrhundert, das die unrettbare Verknöcherung der alten Gewerbeorganisation erkannte, hat den entgegengesetzten Weg eingeschlagen, es ist zur Manchestertheorie des „laissez aller, laissez faire" und zur unbedingten Gewerbefreiheit übergegangen.

War die alte Zunftverfassung hauptsächlich darauf bedacht gewesen, dem Erzeuger irgend einer Warengattung seine soziale Freiheit und Selbständigkeit zu wahren, so ging das Prinzip der Gewerbefreiheit darauf aus, jedem die volle berufliche Freiheit im Erzeugen irgend welcher Ware zu garantieren. Damit war der Wettbewerb freigegeben, und technische und industrielle Fortschritte wuchsen mit staunenerregender Geschwindigkeit aus seinem Boden hervor. Aber jedes Prinzip und jedes Gesetz ist ein Kind seiner Zeit, und der Grundsatz unbedingter Gewerbefreiheit zeigt heute schon deutliche Alterserscheinungen. Schon fühlt man da und dort, wie seine Vernunft zum Unsinn, seine Wohltat zur Plage wird, wie Schwindelkonkurrenz und kapitalistische Übermacht als giftige Pflanze die Segnungen schrankenloser Freiheit zu überwuchern drohen. Und man fängt an, sich nach Abhilfe umzusehen.

Es ist bezeichnend für unsere Zeit, daß man hauptsächlich dabei zunächst das Mittel korporativen Zusammenschließens gewählt hat, und bezeichnend ist auch die Art und Weise desselben. Nicht das Gewerbe als solches schließt sich zusammen, sondern wirtschaftliche Interessengruppen: Die Arbeitnehmer, die Arbeitgeber; die Zwischenhändler, die Produzenten, kurz, was in gleicher oder ähnlicher Weise arbeitet, schließt sich gegen die anderen Interessentengruppen, wenn auch des gleichen Gewerbes, ab und zusammen.

Einigkeit macht stark, und der Gedanke, daß der wirtschaftlich Schwächere gegenüber dem wirtschaftlich Stärkeren durch Zusammenschluß die von ihm gewünschten Vorteile erringen kann, scheint seines Erfolges sicher. Aber es scheint nur so: Die Arbeiterorganisationen haben mittelbar die Unternehmerverbände ins Leben gerufen, und auf die Streiks kommen die Aussperrungen. Durch diese wirtschaftlichen Interessenkämpfe aber wird, wie durch kaum etwas anderes, die Berufsfreudigkeit zerstört, der gewerbliche Fortschritt geschädigt. Solange hier jede Interessengruppe lediglich nur für sich kämpft, kann eine Besserung nicht eintreten. Eine solche ist erst möglich, wenn man sich auf den gemeinsamen Boden der Einheit des Gewerbes stellt.

Nicht als ob es nun hier ohne Kämpfe und Meinungsverschiedenheiten abgehen könnte. Aber es wäre doch ein naturgemäßer Maßstab und eine Umgrenzung für die gegenseitigen Rechte und Ansprüche gegeben, die eben in der für alle bindenden Rücksicht auf das Wohl des Gesamtgewerbes bestünden. Solange jeder Stand nur um besseren Verdienst und weniger Arbeit ringt, machen seine Ansprüche erst vor Zwang und Unmöglichkeit halt; kämpft er aber zugleich auch für das Ansehen seines Gewerbes, so wird sich eher ein freiwilliges

Einhalten an der Grenze des gemeinsamen Vorteiles ermöglichen lassen.

Daß die wirtschaftlichen Interessengruppen sich gegenwärtig fast in allen Gewerben so schroff gegenüberstehen, beruht zum großen Teil in der sozialen und beruflichen Zerklüftung, welche die Angehörigen eines und desselben Gewerbes durchsetzt und demselben seine Einheit raubt. Selbstverständlich kann die Ausbildung der Arbeitsteilung in unserm Gewerbe nicht wieder rückgängig gemacht werden. Wir brauchen den Fabrikanten wie den Arbeiter, den Grossisten wie den Detailleur, den Goldschmiedekünstler und den Boraxreiber. Aber fehlerhaft und ungesund ist es in der Entwickelung der letzten Jahrzehnte, daß die Zwischenglieder und Übergänge fehlen, die erst eine lebendige Einheit des Goldschmiedegewerbs ermöglichen. Die Kluft zwischen Arbeiter und Fabrikanten ist zu groß, als daß sich hier nicht ein Bindeglied, das des Kleinfabrikanten und Heimarbeiters, notwendig machen sollte. Zwischen den Produktionsund Verkaufsstätten, den Fabriken und Läden, müßte der Stand der Kleinmeister und Goldschmiedeateliers Raum zur Entfaltung erhalten. Zwischen dem angestellten Zeichner und der namengebenden Firma müßte es mehr selbständige Kunsthandwerker unseres Faches geben.

Es ließen sich derartige Übergänge und Zwischenglieder noch mehr namhaft machen, die jetzt nicht oder nicht in der richtigen Entfaltung vorhanden sind. Also nicht eine Veränderung, sondern eine Bereicherung in dem Organismus des Gewerbes ist es, die damit verlangt wird. Daß diese Bereicherung zugleich mit zur Festigung und Gesundung des Ganzen beitragen würde, erscheint sicher.

Tief in jedem Menschen steckt das Bedürfnis, in seiner Berufsarbeit nicht nur kommandierte oder ihm durch die Verhältnisse aufgezwungene, sondern solche Arbeit zu liefern, in deren Art und Weise er seine eigene Natur bis zu einem gewissen Grade sich ausleben lassen kann. Nur dann wird er mit ihr verwachsen können, nur dann wird er das hohe Glück der Arbeits- und Berufsfreudigkeit erfahren. Damit womöglich jeder das ihm zusagende Arbeitsfeld finden könne, ist es wünschenswert, daß innerhalb eines Gewerbes nicht nur wenige Riesenbetriebe und Heere von Angestellten, sondern auch kleinere selbständige Geschäfte von allen Abstufungen der Größe und Betriebsart vorhanden seien, damit nicht einige, einander schroff gegenüberstehende Interessen- und Standesgruppen das Gewerbe äußerlich präsentieren, sondern dieses eine aus unmerklich ineinander übergehenden Gliedern fest zusammengefügte Einheit darstelle. Ein Oben und Unten muß immer sein, den Unterschied zwischen einem viel verdienenden Unternehmer und einem mäßig bezahlten Angestellten kann niemand aus der Welt schaffen. Aber es darf keine unüberschreitbare Kluft dazwischen sein, es muß ein gangbarer Weg vom einen zum andern führen.

Über Mittel und Wege zu sprechen, welche zu diesem Ziele führen könnten, ist hier nur in beschränktem Maße der Platz. Alle Maßregeln und Mittel werden dazu gut sein, die geeignet erscheinen, eine gesunde Entwickelung kleinerer Geschäftsbetriebe

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G. Rebner, Leipzig-R., Kunstaustalt

Schmuck in Gold und Email

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