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STREIFZÜGE IN DIE HERALDIK.

VIII. DIE SPÄTGOTIK UND DER ÜBERGANGSSTIL SOWIE DIE NACHFOLGENDE RENAISSANCE.

Wegen Materialfülle waren wir leider genötigt, in der Veröffentlichung dieser Artikelfolge eine längere Unterbrechung eintreten zu lassen. Wir nehmen nun die Fortsetzung wieder auf und verweisen auf die bereits erschienenen Artikel in den Nummern 45, 47, 51 des vorigen und 1, 3, 5 dieses Jahrganges.

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ER spätgotische Stil ist ein solcher für sich, die sonst streng gotischen Ornamente bewegen sich hier schon etwas freier. Das dekorative Element bricht bereits langsam durch und erzeugt sehr schöne Wappen, von denen wir eine Anzahl hier vorführen. In der ganzen Weise dieses Stiles liegt schon in bester Auffassung der sogenannte Grünenberg- oder Übergangsstil, so genannt wegen des langsamen Überganges von der Gotik zur Renaissance. Der Schild

wird nicht mehr so stark geneigt wie früher, aber immerhin noch bis zum Schlusse dieser Epoche. Bei der Spätgotik ist meistenteils der Stechhelm in Gebrauch, doch nach und nach brechen sich der Spangenhelm und die Schale Bahn. Die Helmdecken sind teilweise ornamental und teilweise auch naturalistisch. In der Spätzeit treten an ihre Stelle fliegende Bänder, wie sie uns Grünenberg so schön vorgeführt hat. Die Helmzier hat neue Vorbilder geschaffen, die wir hier dem Leser an Beispielen veranschaulichen. Wir haben

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hierfür zwei Tafeln, die maßgebend für beide Stilarten sind. Siehe die Fig. 78 in Nummer 3, sowie Fig. 83 in der heutigen.

Auf der Figurentafel 84 (nächste Seite) ist die Hauptfigur a ein brevierlesender Mönch, den man ebenso gut für ein spätgotisches als auch für ein Wappen im Übergangsstil verwenden kann. Figur b: Ein stilisierter Tannenbaum im Tartschenschild. Diese Form ist sehr charakteristisch für die Spätgotik. Die goldenen Tannenzapfen geben dem Ganzen die bezeichnende Eigenschaft. Figur c: Ein Eichenbaum mit Einzelblättern und Früchten; in der Spätzeit werden bei Bäumen nur die äußeren Formen buschförmig zusammengefaßt. Figur d: Eine Art Münchener Kindl. Figur e: Mohrin mit Turban und Schürze, in der Rechten einen Kranz haltend. Die Schilde jener Epoche dürfen unten auch spitz zugehen und

sehen in dieser Art echt gotisch aus. Figur f: eine Nonne aus einer Krone wachsend. Nun finden wir in den Figuren von g bis m lauter echt Grünenbergsche Vorbilder, bei denen selbst kleine Kinder mit Leichtigkeit die Auflösung geben können. Figurg: Ein Mohr mit aus den Schultern wachsendem Hirschhorn. Figur h: Eine Geige in beschindeltem Felde. Figur i: Ein gezinnter Balken mit Würfeln im Felde. Figur k: Ein Leopard über einem schwarz und weiß geschachteten Felde. Der Leopard unterscheidet sich vom heraldischen Löwen dadurch, daß er den Kopf nach dem Beschauer wendet. Figur 1: Ein gekrönter Löwe im schwarzen, mit Kugeln bestreuten Felde. Figur m: Ein Schwan im blauen Felde.

Die nächste Figurentafel: 85 (nächste Seite) behandelt mehr die Helmzierden oder Kleinode. Figur 1: Ein bärtiger

Mannesrumpf in sehr naturalistischer Weise nach einem Schweizerwappen, so auch Figur 3: ein wachsenderWolf, ein Huhn im Rachen. Fig. 2: Ein dreiköpfiges Schwanenbild, aus einer Krone wachsend(Grünenberg). Figur 4: Eine Trommel, auf einemKissen ruhend, darüber ein Pfauenwedel, aus einer Krone wachsend. Fig.5: Eingekrönter Federhut. Fig.6: Ein direkt aus den Helmdecken wachsender Ziegenbock. Figur 7: Ein krähenartiger Vogel aus dem Dreiberg in der Krone wachsend. Fig. 8: Helmzier, aus dem Wappen der Spechte von Bubenheim wachsend.") Es stellt diese einen zerlumpten Würfelspieler dar, der sich vor Schreck in den Haaren zaust. Figur 9: Ein arbeitender Schuster.

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Fig. 83

IX. DER RENAISSANCESTIL (von dem Heraldiker Ralf von Ratberg sehr richtig neudeutscher oder Dürerstil genannt).

Wenn auch Albrecht Dürer die heraldischen Bilder im Sinne der aus Italien kommenden Renaissance umgestaltet hatte, so ist er doch kein Nachbeter der Italiener gewesen, sondern hat die Motive in eigener, echt deutscher Weise verwendet. Die Figuren haben alle mehr Naturalistik und die Ornamentik ist rein und von Grünenbergscher Übertreibung frei. Die Helm*) Die Spechte wohnten in dem vier Stunden von Mainz gelegenen Orte Bubenheim in Rheinhessen.

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decken sind ganz ornamental gehalten, während die Helme genau der Natur nachgebildet sind. An Künstlern dieser Epoche nennen wir nach dem Altmeister Dürer noch dessen Meister Hans Wohlgemuth, von dem wir viele Wappen, wenn auch manchmal steif und ungeschickt, besitzen; dann Dürers Schule, von der wir keine genauen Namen finden, wenn wir auch viele Schüler kennen. Trotzdem sind deren spezielle Wappenwerke unbekannt, da sie alle unter dem Namen „Dürers Schule" gehen. Nennen wir noch Meister der Renaissance, als Hans Baldung Grien, Hans Sebald Beham,

Michael Ostendorfer, Hans Springinklee, Hans Weyditz, Hans Brosamer, J. Hopfer, Hans Burgkmaier usw. Man beachte die beiden Kaiserfiguren: Figur 86 und 86a. Die Meister der späten Renaissance und des Barock, als Virgil Solis, Lucas Cranach der Jüngere (1515-1586), Jost Amann, Tobias Stimmer, Wendel Dietterlin, der besonders durch seine übertriebenen, aber ihm ureigenen Wappenzeichnungen auffällt. Die Renaissance, resp. der Dürerstil, kennt schon die mehr ein- und ausgebogenen und gekerbten Schilde, die ganz ornamental gehaltenen prachtvollen Helmdecken, die bei Dürer allerdings noch recht naturalistisch, aber bei anderen schon mehr mißverstanden gezeichneten und streng eingebogenen Helme, welche nicht mehr aufgesetzt werden könnten. Die Figuren, welche bis ins Kleinste sorgfältig gezeichnet sind, aber nicht mehr den Ursprung der Technik erkennen lassen. Die Umrisse der Wappentiere usw. sind alle noch streng heraldisch (gotisch), aber enthalten viel mehr Naturwahrheit. Die Adler bekommen vollständiges Gefieder, sowie die Löwen. mehr ein haariges, gelocktes Fell. Siehe Figur 83. Clemens Kissel, Mainz.

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Abb. 86 a

Deutsche GoldschmiedeZeitung

Ernst Riegel als Kleinplastiker.

ERNST Riegel in Darmstadt, Goldschmied und Möge es gestattet sein, hierbei etwas zu verweilen.

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Professor, - wirkt diese Zusammenstellung nicht ungemein modern? ist als Fachkünstler anerkannt und bekannt genug auch durch Publikationen in unserer Zeitschrift als daß es notwendig und angebracht erschiene, immer wieder von neuem seine einschlägigen Qualitäten hervorzuheben und einem Lesepublikum auseinanderzusetzen, von dem man annehmen muß, daß ihm das bekannte und geschätzte Dinge sind. Der Künstler und Goldschmied Riegel ist sich im wesentlichen der gleiche geblieben, seitdem wir ihn kennen. Immer wieder neue Seiten weiß aber seine Phantasie, seine originelle Handwerkergeschicklichkeit, seine uner

schöpfliche Technik seiner Kunst und den ihm gestellten Aufgaben abzuringen. Diese unseren Lesern zu zeigen, ist der Zweck des reichen Abbildungsmaterials, das wir ihnen heute vorführen, und das wir mit freundlicher Genehmigung des Künstlers den noch viel reicheren Schätzen entnommen haben, die sich als Ergebnis einer rastlosen Schöpfertätigkeit in seinen Mappen und in seinen Ateliers angesammelt haben.

Moderne Kleinplastik. Wer seinerzeit die Kampfschriften van de Veldes in den Anfangszeiten des modernen Stils gelesen hat, der erinnert sich vielleicht, mit welch grimmigem Spott der streitbare Dogmatiker der Zweckform gegen die übermäßige und sinnlose Verwendung der Naturform, speziell im Kleingewerbe losgezogen hat, und mit welcher Entschiedenheit er deren absolute Entfernung vom Gebrauchsgegenstand nicht nur theoretisch verfochten, sondern auch praktisch gezeigt und gelehrt hat.

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Van de Velde hat gewiß Recht gehabt mit der Bekämpfung der Art und Weise, in welcher früher

Professor Ernst Riegel Brosche. Silber, Gold eingelegt

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Wer das vorliegende Heft durchblättert, wird im Großen und Ganzen zwei verschiedene Kategorien von Arbeiten an den Abbildungen unterscheiden können; solche, zu deren Ausführung eine bildhauerisch - plastische Tätigkeit notwendig war, und solche, welche rein technisch-ornamentale Formen und Motive aufweisen. Die Verdienste, welche Riegel sich um diese letztere Kategorie von Goldschmiedearbeiten erworben hat, seine hochkünstlerischen Leistungen gerade in dieser Richtung und mit diesen Mitteln, sind bisher in erster Linie gewürdigt und hervorgehoben worden, weil sie als das eigentlich Neue, in die moderne Richtung Einschlagende von seiner ganzen Tätigkeit am leichtesten erkannt wurden. Nicht weniger eigenartig und wesentlich ist aber seine Tätigkeit und sein modernes Künstlertum als Kleinplastiker.

das Naturmotiv die Werke der Gebrauchskunst überwucherte. Wenn wir uns der feierlichen allegorischen Gruppen, der Kleindenkmäler, erinnern, für welche vor anderthalb Jahrzehnten die Herstellung von Tafelgerät noch den Vorwand abgeben mußte, so können wir van de Velde für seine leidenschaftliche und reinigende Stellungnahme nur dankbar sein.

Aber die Kleinplastik am Gebrauchsgeräte ist doch nicht ausgerottet? Wir sehen ja gerade an den vorliegenden Arbeiten von Ernst Riegel, mit welch fröhlicher Unbekümmertheit sie an den verschiedensten Stellen und Gelegenheiten ihr Wesen treibt. Darüber braucht man sich nicht zu wundern; dogmatischer Prinzipienstreit und künstlerisches Schaffen sind eben zwei verschiedene Dinge; das eine reinigt, klärt, schafft Bahn, das andere wächst und schafft auf dem gegebenen Grunde, nicht immer aber nach den gegebenen Regeln und Prinzipien. Der Künstler Riegel hat den schöpferischen Nachweis geliefert, daß die Kleinplastik in der angewandten Silberschmiedekunst Heimatsrechte hat, die unverlierbar sind. Aber was er an solcher bringt, ist etwas so ganz Verschiedenes von dem, was seinerzeit van de Velde bekämpft hat und bekämpfen mußte, daß nur ein formaler, aber kein innerer Widerspruch vorhanden ist. Wo steckt

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nun eigentlich der Unterschied zwischen der modernen Kleinplastik in Edelmetall und derjenigen, welche aus dem Studium der historischen angewandten Kunst erwachsen war? Beispiele beweisen. Die vortrefflichsten Beispiele für eine mustergültige, moderne Kleinplastik in angewandter Edelschmiedekunst haben wir an den verschiedenen Arbeiten Ernst Riegels in diesem Hefte vereint. Riegel vermeidet in den Motiven und in der Anwendung seiner angewandten Kleinplastik mit feinem Gefühl das Pathetische und das Feierliche. ist nun einmal so in der Wirklichkeitswelt, daß den Menschen im allgemeinen das maßstäblich Große imponiert und sie ernst stimmt, und daß durch das maßstäblich Kleine im Großßen und Ganzen eher das Gefühl des Überlegenseins, des wohlwollenden Interesses und Behagens in uns hervorgerufen wird. Nun soll ja die Kunst an diese Schranken des Lebens nicht durchweg gefesselt sein. Sie hat wohl die Kraft in sich, sich gelegentlich darüber hinwegzuschwingen; niemals aber wird sie dieselben einfach und auf die Dauer ignorieren dürfen.

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bringen können, welcher die Welt des Kleinen von dem richtigen, künstlerischen Gesichtspunkte aus anzupacken weiß.

Und da ist Riegel das Wahre und das Richtige in seiner Künstlerbefähigung zuteil geworden: Ein stiller Humor, eine überlegene Sicherheit der fabulierenden Phantasie, eine behagliche Künstlerfreude an der Welt des Kleinen, die all den Nöten und Härten des Lebens noch weiter entrückt scheint, als die große, die hohe, die in großzen Maßstäben darstellende Kunst. Auch wo er durchaus ernste, ja feierliche Wirkungen mit seiner Kleinkunst anstrebt und anstreben muß, wie in seinen zahlreichen kirchlichen Arbeiten, so vermeidet er doch mit untrüglicher Sicherheit jeden schweren Ernst, jede pathetische Feierlichkeit. Aus einer kindlichernsten Gläubigkeit heraus scheinen diese Engelsfiguren an der Abendmahlskanne für die Pauluskirche in Darmstadt (Seite 231), dieser Kruzifixus und die Evangelistensymbole geschaffen zu sein; sie wollen nicht überwältigen, zürnen, strafen, sie wollen durch ihre ganze Auffassung dem kirchlichen Gefühl dienen, wie das Gefäß oder Geräte, das sie schmücken, dem kirchlichen Gebrauch. Das ist maßstäbliche Kunst, das ist religiöse Kleinplastik, welche aus der Welt des Kleinen heraus empfunden und in dieselbe hinein geschaffen ist. Es ist große Kunst, nicht trots, sondern durch ihre Kleinheit.

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Professor Ernst Riegel Schirmgriffe. Silber, Elfenbein Gürtelschließen

So ist es auch bei der Aufgabe, eine moderne Kleinplastik aus ihrem eigenen Wesen herauszuentwickeln. Nicht der Zweck und die Art ihrer Anwendung, nicht die anzuwendende Technik und das benutzte Material geben darauf endgültig Antwort, sondern nur die Rolle, welche der besondere Maßstab, die Welt des Kleinen, unserer Phantasie, unserer künstlerischen Empfindung gegenüber, spielen. Nur der Künstler wird wirkliche Kleinkunstwerke hervor

Noch stärker tritt der stille, behagliche Humor, welcher der Kleinplastik so wohl ansteht, ja welcher einer ihrer wichtigsten Wesenszüge ist, bei denjenigen Geräten

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