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Deutsche GoldschmiedeZeitung

EIN

Der Augsburger Goldschmied Johann Jakob Anthoni.

IN verkannter Künstler. Ein Genie, dessen Nachruhm fast zwei Jahrhunderte lang ein anderer erntete, bis ein Zufall zum allgemeinen Staunen eine kleine Inschrift und damit den Ruhm Anthonis an's Licht brachte.

Schon im 16. Jahrhundert ist die Goldschmiedsfamilie Anthoni in Augsburg nachzuweisen. Einer dieser Anthonis, der 1701 starb, hatte sich 1671 in zweiter Ehe mit Euphrosine Hardterin, die 1693 das Zeitliche segnete, vermählt. In diesem Jahre erschien der verwitwete Gatte vor dem Pflegschaftsamt mit dem Briefmaler Tobias Steidler und dem Goldschmied Christoph Trenthweth als Pflegern seiner mit weil. Euphrosine Hardter sel. ehelich erzeugten zwei Kinder Anna Marie und Hans Jakob. Dieser war also damals noch minderjährig und mag etwa 1674 oder 1675, vielleicht auch noch später geboren sein. Sonst findet sich von ihm weder in den Steuerbüchern und Hochzeitsprotokollen noch in den Meisterbüchern der Goldschmiede eine Spur. Wohl schon bald nach des Vaters Tode wird er die Heimat verlassen haben. 1713 berief ihn Landgraf Karl von Hessen von Berlin nach Kassel, um dort die Riesenanlage des Oktogons und der Kaskaden auf dem Weißenstein, der späteren Wilhelmshöhe, mit der Kolossalstatue des Herkules zu krönen. Auch 1718 und 1719 weilte

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des Herkules zu krönen. Zu diesem Zweck erbaute Guerniero 1713-1714 auf dem Oktogon noch eine 30 Meter hohe Pyramide. Ursprünglich bestand der Plan, in einem nahen Steinbruch einen gewaltigen Block zu lösen, aus diesem an Ort und Stelle die Riesenfigur des Herkules herauszuhauen und sie dann bei Schneefall auf Schlitten den Berg hinaufzuschaffen. Das Projekt scheiterte aber an der Unmöglichkeit des Transportes. Der roh behauene Stein blieb, eine halbe Stunde vom Steinbruch entfernt, über 150 Jahre in einem Grasgarten liegen, wo ihn die Einwohner bald für ein uraltes heidnisches Heiligtum hielten, wurde 1867 versteigert, zerkleinert und in Kassel zu profanen Bauzwecken verwandt. Bald nach dem Mißlingen seines Planes beschloß der Landgraf, in der Edelsteinschleiferei im Schloßgraben zu Kassel eine 91/4 m hohe kupferne Herkulesstatue als getreue Nachbildung des farnesischen Herkules schaffen zu lassen. Vier Jahre wurde ununterbrochen daran gearbeitet, bis Ende 1717 die prächtige Figur, die noch heute als Wahrzeichen weit in die hessischen Lande blickt, das Riesenwerk krönte. Allein acht Personen finden in der Keule des Alkiden Platz, dessen Taillenweite 5 m beträgt. Der Durchmesser des Kopfes mißt 1 m, die Schulterbreite 3 m, die große Zehe 1,40 m, die Ummessung an der Wade 2,10 m, am Oberarm 1,80 m, am Handgelenk 1 m. Die Stärke des Kupferbleies beträgt 21/2 bis 3 mm und das Gesamtgewicht der Statue, wie ich es nach den Kupferlieferungen usw. berechnete, etwa 57 Zentner. Das Ganze so kunstvoll und solid und mit einer Vollkommenheit gearbeitet, daß es nach dem Urteil der Fachleute die Hermannsstatue bei Detmold weit übertrifft.

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Anhänger O. Weckmann, Helsingfors

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er noch in Kassel und arbeitete zu dieser Zeit an einem Epitaphium des Fritzlarer Kanonikus von Nehem für die dortige Peterskirche, für welche Arbeit er 119 Taler erhielt.

Landgraf Karl (1670-1730), der genialste Fürst, der je auf dem hessischen Throne saß, hatte sich 1701 durch den aus Rom verschriebenen Architekten Francesco Guerniero jene imposanten Kaskaden mit dem gewaltigen Oktogon erbauen lassen, die noch heute die Bewunderung der Welt hervorrufen und den eigentlichen Mittelpunkt der Wilhelmshöher Anlagen bilden. Als das Oktogon 1711 vollendet war, faßte der Landgraf den Entschluß, das ganze Werk durch eine Statue

Und nun erlebt die Welt fast zwei Jahrhunderte lang einen der merkwürdigsten Irrtümer der Kunstgeschichte. Überall galt als Schöpfer des einzigartigen Werkes der Kasseler Kupferschmied Otto Philipp Kaper, und die Kasselaner waren nicht wenig stolz darauf,

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ich bin in meiner Geschichte der Wilhelmshöhe" (Klinkhardt und Biermann, Leipzig) im Einzelnen darauf eingegangen als derjenige entgegen, in dessen Händen die Leitung ruht. Er allein hatte die amtlichen und privaten Lieferungen an Materialien in Empfang zu nehmen und darüber eigenhändig zu quittieren. Auch in den Zahlungsbefehlen des Landgrafen finden wir immer nur seinen Namen als den des Verfertigers der Statue. Was außer den notwendigen Kohlen - ihr großer Verbrauch erklärt sich dadurch, daß das Kupfer nach dem Treiben hart wird und jedesmal wieder ausgeglüht werden muß, um wieder in weichem Zustand getrieben werden zu können an Kupfer, Messing usw. sonst noch alles verbraucht wurde, geht aus einer der zahlreichen, im Staatsarchiv zu Marburg aufbewahrten Rechnungen hervor. Danach wurden von einem Kasseler Kaufmann 1715 u. a. geliefert: ,,8 böhmische Schmelztiegell, 6 Schmelztiegell, 6 Großalmeröder Schmelztiegell, 1 eiserner Schmelzlöffel, 46 Pfund Venedischer Borax, 1 Pfund Venedischer Terpentin, 3 Pfund Bimsteine, 3 Pfund Kreide, 8 Pfund feingeschnittener Röthel zum reissen, 1/2 Pfund Calovonium, 225 ganze und 75 halbe Dielennägel, 75 halbe

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Dose in Silbertreibarbeit. Oberansicht O. Weckmann, Helsingfors

wahrten Papiere genauer an, so ergaben sie lediglich, daß er allerdings an der Herkulesstatue gearbeitet" und „sein erlerntes Kupferschmiedehandwerk wohl verstehet". Weiter aber auch nichts. Wer mag aber nicht alles an der Herkulesstatue dort unten im Schloßgraben gearbeitet haben! Und wie kam es, daß der angebliche Schöpfer eines solch hervorragenden Kunstwerkes später nichts mehr schuf, von dem man sprach und das über das Handwerksmäßige hinausging? Und dann weiter. Küper war 1692 geboren. 1709, also vier Jahre

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Schloßnägel, 1 Zentner schwartz Pech, 139 Pfd. waldeckisches Zeint- (= Stab) eisen, 10%, Pfund englisch Stangenzinn, 45, Pfd. englisch Zink, 10 Pfund eisen Draht, 104 Pfund steurisch Stahl, 19 Pfund staabeisen, 57 Pfund Mollenbley, 39 st. sortierte. Feilen, eine Scheere zum Blechschneiden, eine Kneippzange, ein Schraubstock, 2 HandtFeilkloben, eine starke meß. Kratzbürste, 2 Handtgoldschmiedsscheeren, schmiedsscheeren, 3 große Nürnberger Pitz- und Flachzangen, 6 steurische Feilen, eine Handtfeile 2/2 Pfund schwer, 2 bürsten oben mit meßern, ein Cöllnischer waagen balcken, ein einsatz meßingne gewichte, eine steurische rößell (?), eine Schmiedeform für ein blafjbalg, 24 st. Kleine feilen, 14 ehle (Ellen) Passaite (Bafsaiten?)." Schon 1713 waren ihm vier eigens für ihn

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Dose in Silbertreibarbeit. Seitenansicht O. Weckmann, Helsingfors

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geschmiedete Ambosse überliefert worden, darunter einer von 10 Schuh Länge. Den Empfang all dieser Materialien hat Anthoni eigenhändig quittiert. Er allein also kann als Schöpfer der Statue in Betracht kommen. Alle Goldschmiede der damaligen Zeit wußten trefflich mit Hammer und Punzen umzugehen. Zudem war er bei Beginn des Werkes bereits 38 Jahre alt, also auch an Alter dem jugendlichen Küper weit überlegen. Man hat geltend gemacht, daß Küper nur die groben Formen geschaffen und für die feinen Treibarbeiten einen Goldschmied in Lohn und Brot genommen habe. Dafür spreche auch, daß Anthoni, dem Drange eines Künstlers folgend, sich im Kopfe verewigte, was nicht in auffälliger Weise hätte geschehen dürfen, weil Küper als der Schöpfer des Werkes habe gelten wollen, und es sei anzunehmen, daß Landgraf Karl ihm als dem Inländer die Sache übertragen habe." Der letztere Einwand will nichts bedeuten. Derselbe Fürst ließ durch den Franzosen Lenôtre die Pläne der Karlsaue anfertigen, durch den Franzosen Monnot die Statuen des Marmorbades schaffen, erbaute durch die Franzosen Du Ry die Kasseler Oberneustadt, er beschäftigte den Friesen Quitter als Hofmaler, ließ durch den Italiener Guerniero die Kaskadenanlage bauen - warum sollte also gerade die Herkulesstatue von einem Inländer stammen? ☐ Die Akten sprechen eine schwerwiegende Sprache.

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Dazu kommt die nach 183 Jahren aufgefundene Inschrift. Hätte Anthoni, der doch damals jedermann als Erschaffer der Statue bekannt war, einen eitlen Betrug ausüben wollen, der biedere Malermeister, der 1718 mit seinem Farbentopf bis in den Kopf der

Anhänger O. Weckmann, Helsingfors

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Figur stieg, hätte die Inschrift, die er dort fand, alsbald drunten in der Stadt ins Gerede gebracht. Auffallend bleibt, daß man den Künstler so bald vergessen konnte und sich so wenig über ihn ermitteln läßt. Aber auch der rätselhafte, geniale, aber etwas schwindlerhaft veranlagte Italiener, der die Anlage auf dem Karlsberg mitsamt dem Pyramidensockel der Statue schuf, teilt dasselbe Schicksal. Nicht der letzte Zweck dieser Zeilen ist der Wunsch, an dieser Stelle von Fachgenossen und Nachkommen des Augsburger Goldschmiedes Anthoni, des Schöpfers eines der berühmtesten Kunstwerke Europas, Näheres über ihn zu hören.

Vor allem aber Ehre, dem Ehre gebühret! Fast zwei Jahrhunderte sind ins Land gegangen, während derer ein anderer sich den Lorbeer Anthonis unverdientermaßen aufs Haupt setzen durfte, und erst kürzlich wieder kündete das „Daheim" den Ruhm Küpers. Nun wird es endlich Zeit, daß weithin vernehmbar die Losung ausgegeben wird: Nicht Küper, sondern Johann Jakob Anthoni, Goldschmied aus Augsburg! Paul Heidelbach, Kaffel.

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