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Das Letztere erklärt sich aus dem Umstande mit, dass auch unstudirte Brüder und Schwestern, die den Trieb zum Liederdichten fühlten, mit Liedern hervortraten. Es galt die äussere Form überhaupt nur als Nebensache.

32) Graf Nicolaus Ludwig von Zinsendorf *), der eigentliche Stifter der s. g. Herrenhuter mit dem Pfr. Johann Andreas Rothe (s. No. 31) zu Berthelsdorf, mit dem er aber zerfiel, geb. den 26. Mai 1700 zu Dresden, Sohn des Ministers Georg Ludwig v. Zinsendorf's, eines frommen, mit Spener verkehrenden Mannes daselbst, nach dessen Tode (1700) sich die Mutter, geb. von Gers dorf, mit dem Preussischen Feldmarschall v. Natzmer (1704) verheirathete, Pathe Spener's, erzogen bis zu seinem 10. Jahre von seiner mütterlichen Grossmutter Henriette Catharina v. Gersdorf (No. 28) in Frömmigkeit, zugleich durch Christian Ludwig Edling (No. 29), dann im Pädagogium zu Halle, wo er mit dem Schweizer Friedrich von Watteville sehr vertraut wurde, studirte dann seit 1716 in Wittenberg Jura bis 1719, machte hierauf Reisen, wurde 1721 Hof- und Justizrath in Dresden, und verehelichte sich 1723 mit der Gräfin Erdmuthe Dorothea von Reuss Ebersdorf (vergl. No. 23). Nachdem der Grund von Herrenhut am Hutberge für die neue Gemeinde der sich ansiedelnden flüchtigen. Böhmisch - Mährischen Brüder den 17. Juni 1722 gelegt worden war, und Zinsendorf 1727 sein Amt in Dresden aufgegeben hatte, zog er nach Berthelsdorf, und widmete sich der neuen Gemeinde, für die er eine christliche Gemeindeordnung nach Art der apostolischen entwarf, und den 12. Mai 1727 einführte. 1733 zog er nach Tübingen, weil ihn die Regierung nicht länger leiden wollte, bestand in Stral

*) Vgl. über ihn ausser seiner Autobiographie (1749) die Lebensbeschreibungen von A G. Spangenberg (Bischof der Brüdergemeinde, s. d. Folgende), Barby, 1773 ff.. 8 Thle. 8.; G. B. Reichel, Leipz., 1790.; J. C. Duvernoy, Barby, 1793; J. G. Müller, Winterthur, 1795. 2. Aufl. 1823; (v. Schrautenbach), Berl., 1781. 1828.; Varnhagen van Ense, Berl., 1830.; Joh. W. Verbeeck (Prediger in Herrenhut). Gnadau, 1845. Í Thlr. Recensirt von Kölbing in den theol. Studien uud Kritiken 1848, III, S. 720. 4. Knapp, Geistl. Lieder - gesamme und gesichtet. Mit einer Lebensskizze u. s. w. Stuttg., Cotta. 1845. hoch 4. 2 Thlr. Vgl. Herder, Adrastea, 4. Bd.,

1. Stück.

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sund unter angenommenem falschen Namen das theologische Examen, und trat zu Tübingen 1734 in den geistlichen Stand. Den 20. März 1736 wurde er förmlich aus Sachsen verwiesen. Er zog nun überall herum, lebte in der Wetterau und anderwärts, ging nach Westindien zu der neugestifteten Mission, kam 1739 zurück, ging 1741 nach London, Newjork und Philadelphia, kehrte 1743 zurück (nacb Herrnhut), begab sich dann nach Petersburg, durfte 1747 nach Sachsen (Herrenhut) zurückkehren, wo nun 1749, wie in England (wo er 1748 war), die Brüdergemeinde von Staatswegen anerkannt wurde. Vom Jul. 1751 war er bis Juni 1755 in London, wo sein einziger Sohn starb (vier waren schon verstorben). Seine Frau starb den 19. Juni 1756. Er verheirathete sich mit Anna Nitschmann, der Chorpflegerin der ledigen Schwestern. Er selbst starb den 9. Mai 1760. Seine Tochter war verheirathet mit Johann von Watteville. Seine 2. Frau aber starb den 21. Mai j. J. Als Liederdichter war er sehr fruchtbar (über 2000 Lieder gedichtet, 700 sind von A. Knapp herausgegeben), und ist sehr verschieden beurtheilt worden; ein begeisterter Lobredner ist Knapp, der sich durch die Herausgabe der Lieder desselben mit Hülfe der Brüderunität ein besonderes Verdienst erworben hat. Lieder sind z. B. (sein allererstes):,,Schauet, mein Jesus ist Rosen zu gleichen. Kron und Lohn beherzter Ringer (über die Bergpredigt). Du unser auserwähltes Haupt. O ihr auserwählten Seelen in dem Pella Herrenhut (Weibelied auf Herrenhut). Christi Blut und Gerechtigkeit. Herz und Herz vereint zusammen. Herr, dein Wort, die edle Gabe. Jesu, geh voran. Gottes Führung fordert Stille. Die Christen gehen von Ort zu Ort. Aller Gläubigen Sammelplatz" — 7, darunter die sechs letztern stehen im Würtemb. Gsgb. Zinsendorf hat viele Lieder improvisirt, wober auch mit ihre Formlosigkeit kommt.

33) August Gottlieb Spangenberg *), geb. den 15. Jul. 1704 zu Klettenberg im Haunöverschen, Sohn des dasigen Pfarrers, bekannt als Bischof der Brüdergemeinde. Zu dem frühen Tode seiner Eltern kam noch der Verlust seines Eigenthums durch Feuer. Er studirte in Jena erst Jura,

*) Jer. Risler, Leben 4. G. Spangenberg's. Barby u. Lpz., 1794. 8.

dann Theologie, hielt Vorlesungen, wurde 1727 mit Zinsendorf bekannt, 1732 Docent und Aufseher am Waisenhause in Halle, zog 1733 nach Herrenhut, 1735 war er in Nordamerika, kam 1739 wieder nach Deutschland (Marienborn in der Wetterau), 1741 in England, 1744 Bischof der Brüderkirche, wieder in Amerika, und später noch 2 Mal. Er schrieb die Biographie Zinsendorf's, und die 1. Brüderdogmatik (,,Idea fidei fratrum." Barby, 1779. 8.). Er war 2 Mal verheirathet. Er starb sehr alt den 10. Sept. 1792. Knapp vergleicht ihn mit Melanchthon. Von ihm z. B.:,,Heil'ge Einfalt, Gnadenwunder. Die Kirche Christi, die er geweiht."

34) Christian Gregor, geb. den 1. Jan. 1723 zu Dirsdorf b. Reichenbach in Schlesien, daselbst unterrichtet, ging 1742 nach Herrenhut aus innerem Drange, wurde Rechnungsführer bei Zinsendorf, 1756 Diaconus, Organist und Musikdirector, später auch Mitglied der Unitätsdirection, reiste nach Amerika und Russland. Er gab ein Brüdergesangbuch (Barby, 1778. N. Aufl. mit Nachtrag, 1824. 1 Thlr.), und das dazu gehörige Choralbuch (1784, Lpz., 3. Aufl. 1819. 2 Thlr.), sowie Gebete in Versen (1791) heraus. Er starb als Bischof plötzlich den 6. Nov. 1801 zu Berthelsdorf. Sein Lied: ,,Ach, mein Herr Jesu, dein Naheseyn," steht im Würtemb. Gesangb. 35) Henriette Louise von Hayn, geb. den 22. Mai 1724 zu Idstein im Nassauischen, Tochter des dasigen Oberjägermeisters, ging 1744 nach Marienborn zu Zinsendorf, wurde 1750 zu Herrenhag Pflegerin, sowie 1766 zu Herrenhnt, wo sie den 27. Aug. 1782 starb. Von ihr:,,Weil ich Jesu Schäflein bin," im Würtemb. Gesangb. 36) Graf Christian Renatus von Zinsendorf, geb. den 19. Septbr. 1727 zu Herrenhut, 2. Sohn Zinsendorf's (No. 32) 1. Ehe, gebildet von 1737-39 in Jena, von 1744-49 Chorpfleger der Brüder, dann in London, wo er schon den 28. Mai 1752 starb. Seine schönen Lieder (zuerst als 2. Anhang zum grossen Londner Gesangb. 1755) sind z. B.:,,0 drückten Jesu Todesmienen. Lass mir, wann meine Augen brechen" - beide im Würtemb. Gesangb.,,Für uns ging mein Herr in Todesnöthen. Die wir uns allbier. Marter Gottes, wer kann dein vergessen."

37) Ernst Wetiolaus Wilhelm von Wobeser, geb. den 29. Nov. 1727 zu Luckenwalde im Brandenburgischen, pietistisch erzogen, auf dem Gymnasium zu Minden gebildet, trat in Militärdienste zu Neuwied, wo 1759 eine Herrenbuter Colonie entstanden war, mit der er sich verband, seinen Militärabschied 1764 nehmend. Er wurde 1766 förmlich aufgenommen, ward 1772 Diaconus, später Aeltester, sowie 1782 Director in Nisky. Er legte wegen Augenleiden seine Stellen nieder, und starb nach 12 Jahren den 16. Dec. 1795 zu Herrenhut. Er war ein guter Dichter und Uebersetzer (der Horazischen Oden, Homer's Ilias, metrisch übersetzt. Lpz., 1781-87. 3 Tble. und Psalmen, dem König David nachgesungen. Winterthur, 1793. Gedichte vermischten Inhalts. 2 Samml. Frkf. 1758. Lpz., 1779.) Mitherausgeber des Choralbuchs der Brüdergemeinde neben Gregor (s. No. 34) und v. Bruiningk (No. 38), mit dem er gedichtet hat:,,Du meines Lebens Leben" (im Würtemberg. Gesangb.).

38) Heinrich von Bruiningk, geb. den 29. Aug. 1738 zu Riga. Sein Vater, der Probst zu Wolmar in Liefland, trat zu den Herrenbutern über. Der Sohn wurde zu Hennersdorf gebildet, sowie auf dem Seminar zu Barby, war seit 1760 Schreiber bei Zinsendorf, wurde dann Diaconus und Pfleger der Brüder zu Gnadenfrei, sowie 1766 zu Herrenbut, 1767 Conferenzschreiber zu Zeist, verheirathete sich mit Zinsendorf's Enkelin, v. Watteville, wurde 1769 Prediger zu Zeist, 1777 zu Gnadenfrei, 1782 Bischof der ganzen Gemeinde, als welcher er nach wiederholtem Schlagflusse den 22. Okt. 1785 in Barby starb. Vgl. No. 37. ,,Du meines Lebens."

39) Georg Heinrich Loskiel, geb. 1740 in Liefland, Sohn eines Herrenhutischen Predigers, gründete mehrere Erziehungsanstalten, 1782 Prediger zu Bethlehem in Nordamerika, wo er 1813 starb.,,Geschichte der Mission der evangel. Brüder unter den Indianern in Nordamerika. Barby, 1789. 8. Etwas für's

Herz auf dem Wege zur Ewigkeit")."

*) Weniger bedeutende Herrnhuter Liederdichter können wir nicht aufführen. Gottfr. Neumann dichtete 1 Lied auf Zinsendorf's jun. Tod.

Die Gesangbücher der evangel. Brüdergemeinde werden wir später erst anführen.

Die Würtemberger Pietisten.

Der Pietismus war in Würtemberg schon vor Spener durch Valentin Andreä (gest. als Prälat von Bebenhausen und Adelberg den 27. Jun. 1654), der ein praktisches Christenthum predigte, vorbereitet worden, so dass Spener's Lehre und Schriften sehr schnellen Eingang fanden, selbst an der Landesuniversität zu Tübingen. Es artete allerdings auch hier, wie anderwärts, der Pietismus bald aus in Fanatismus und Separatismus, so dass die orthodoxen Theologen gegen ihn auftraten. Allein wenn auch selbst vom Herzoge Carl Alexander Untersuchungen und Landesverweisungen der Pietisten verhängt wurden, so hielt der Pietismus sich doch, und blieb mehr auf kirchlichem Boden, als anderwärts. Als Haupt derselben ist Albrecht Bengel anzusehen, um den sich viele Andere schaarten, z. B. der Prälat Oetinger zu Murrhardt (gest. 1782), der Prälat J. Christian Storr u. a. Es war der Pietismus selbst im Consistorium herrschend. Es fand auch Zinsendorf nach seiner Verbannung Aufnahme in Würtemberg, wenn auch das Herrenbuter Wesen nicht Allen zusagte. Was die pietistischen Dichter Würtembergs nun anlangt, deren Vorläufer Hedinger war, so schlossen sie sich den Halleschen an, und hielten sich mehrentheils von den Verirrungen, wie sie namentlich bei den Herrenhutern Statt fanden, fern. Eine thätige Frömmigkeit ist ihr Thema in einer guten Bibelsprache *).

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40) Friedrich Conrad Hiller, geb. zu Stuttgart 1662, Canzleiadvocat das., wo er 1726 starb. ,,Denkmal der Erkenntniss Gottes in neuen geistl. Liedern, auch Arien und Cantaten u. s. w. Stuttg., 1711. (172 Lieder mit Mell., vom Stiftsorganisten Joh. Georg Störl das.). 3 Lieder von ihm stehen im Würtemb. Gesangb.:__,,Ich lobe dich, mein Auge schauet. Rubet wohl, ihr Todtenbeine. O Jerusalem, du schöne.“

41) Dr. Johann Reichard Hedinger, geb. zu Stuttgart den 7. Septbr. 1664, war Vicar an mehreren Orten, seit 168 Herzogl. Reiseprediger in Frankreich und England,

*) Ueber mehrere nachfolgende Dichter stehen auch Beiträge in 4. Knapp's Christoterpe.

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