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Verluste jenes übernatürlichen Glanzes 1, ist aber Seele und Leib auch in ihren natürlichen Vorzügen geschädigt worden. Beide helfen einander in Folge dessen gewissermaßen zur Sünde (Apoth. 927):

Quae (sc. anima), quia materiam peccati ex fomite carnis
Consociata trahit, nec non simul ipsa sodali

Est incentivum peccaminis, implicat ambas
Vindex paena reas peccantes mente sub una,
Peccandique cremat socias cruciatibus aequis.

Von einer dem Fleische als solchem innewohnenden Bosheit kann nach diesen Worten des Dichters keine Rede sein. Wenn Prudentius an anderen Stellen dagegen die Leichtigkeit betont, womit die Seele den Regungen der Sinnlichkeit Widerstand leisten könne2, so ist zu beachten, daß er die erlöste, von der Gnade unterstüßte Willensfreiheit im Auge hat. Dieß geht ganz klar aus der citirten Hauptstelle (Ham. 523 sq.) hervor, wo er V. 559 ausdrücklich den Satan „decrepitus leo“ nennt. Dazu kommt, daß er die Lehre der Priscillianisten bekämpft, in deren dualistischem Systeme das Fleisch ein Geschöpf des bösen Princips war. Die ganze Hamartigenie strebt deßhalb nach dem Ziele, darzuthun, daß der Mensch allezeit selbst durch freie Entscheidung seines Willens der Herr seines Geschickes und darum stets für seine Sünde verantwortlich sei. Gleichsam voll Siegesbewußtsein ruft er darum gegen Schluß seiner Beweisführung aus (Ham. 769 sq.):

En tibi signatum libertatis documentum!

Quo voluit nos scire Deus, quodcunque sequendum est
Sub nostra ditione situm passimque remissum
Alterutram calcare viam. Duo cedere iussi
De Sodomis: alter se proripit, altera mussat,
Ille gradum celerat fugiens, contra illa renutat
Liber utrique animus, sed dispar utrique voluntas
Dividit huc illuc rapiens sua quemque libido.

Von der Lehre, daß die Freiheit des Willens dem Menschen durch die erste Sünde völlig abhanden gekommen sein soll, hat also Prudentius keine Ahnung gehabt 3. Die Freiheit betrachtet der Dichter vielmehr als

zweifeln, wie „rudes“ in Cath. III, 133 zu verstehen ist, ob „unerfahren“ im Sündigen (vgl. oben S. 393) oder verwildert durch die Sünde. Das leßtere ist wahrscheinlicher, weil dieß auch der allein richtige Sinn von „inculta stirps" (Apoth.61) ist. 1 Vgl. oben S. 393. Cath. II, 61 sq. bittet der Dichter um Bewahrung des in der Taufe wiedererlangten Glanzes.

2 Ham. 523 sq.

3 Nach dieser Darlegung der prudentianischen Lehre möge man nun beurtheilen, mit welchem Rechte Brockhaus dem Dichter Folgendes imputirt (a. a. D. S. 187): ". . . von einer Erbsünde, als Uebertragung eines sündigen Keimes (!), im scharf ausgeprägten Sinne ist nicht die Rede. Es wird zwar von einem,herile malum'

ein unverlierbares Gut. In der Hamartigenie V. 637 f. beschäftigt er sich nämlich mit dem Einwande seiner Gegner, daß troßdem Gott der Urheber des Bösen sei, da er es ja in seiner Allmacht verhindern könne 1. Condidit ergo malum Dominus, quod spectat ab alto

Et patitur fierique probat, tamquam ipse crearit:
Ipse creavit enim, quod quum discludere possit,

Non abolet longoque sinit grassarier usu. (v. 645 sq.)

„Weißt du denn nicht, o Thor," antwortet der Dichter voll Entrüstung, „daß deiner Freiheit Kraft dir vom Schöpfer selber gegeben worden?" (V. 673.) Der Mensch ist nicht wahrhaft gut, wenn es nicht in seiner Gewalt steht, auch etwas anderes zu wollen. Was ist das für Lob oder ein Verdienst des Menschen, ohne wirkliche Gefahr zwischen dem zweifachen Wege (der Tugend und der Sünde) gerecht zu leben?

Atqui nec bonus est nec conlaudabilis ille,

Qui non sponte bonus: quoniam probitate coacta
Gloria nulla venit sordetque in gloria virtus:

Nec tamen est virtus, ni deteriora refutans

Emicet et meliore viam petat indole rectam. (v. 692 sq.)

Den schönsten Beweisgrund zur Rechtfertigung Gottes, der das Uebel zugelassen hat, stellt er aber an die Spiße seiner Argumentation.

gesprochen, ein sündiger, aus dem Fleische stammender Keim erwähnt, den der Dichter als den alten Adam bezeichnet (Apoth. 926 sq.), und eine Infection mit der Sünde Adams angenommen, die in einer schädlichen Vermischung der Seele mit dem Leibe besteht (Apoth. 816); indessen, da der Leib wohl als ein Kerker, aber doch nicht von Natur als schlecht bezeichnet, auch den Nachkommen Adams der volle Besiß des freien Willens zuerkannt wird, so wird das Vorhandensein der Sünde in allen Menschen mehr zu einer Nachahmung des bösen Beispiels, das Adam gegeben hat (Cath. III. 133), als zum Ergebniß einer durch die Sünde Adams verrückten Disposition der menschlichen Natur!" zu Ham. 556 sq. bez merkt Brockhaus (a. a. D. S. 32): „Es ist leicht erkenntlich, wie, wenn Prudentius auch eine Fortpflanzung der Sünde Adams zugesteht, doch eine Wirkung der Erbsünde im augustinischen Sinne ihm unbekannt war." Zu dieser Art von Beweisführung können wir nur die vortrefflichen Worte anführen, mit denen Wörter (Gnade und Freiheit S. 134) die auf dieselben sogen. Gründe gestüßte Behauptung von Semisch zurückweist: in den Werken des hl. Justin finde sich die Lehre von der Erbsünde nicht. Diese Argumentation," sagt Wörter, „beruht auf der sonderbaren Voraussetzung: der Kirchenvater müßte, wenn er die Erbsünde gelehrt hätte, in diesem Stücke lutherisch gedacht haben. Dieß hat nun Justin (Prudentius) allerdings nicht gethan; aber folgt denn daraus, daß er deßhalb von keiner Erbsünde gewußt? Nur durch ein Unrecht behält man in diesem Punkte Recht gegen ihn.“

1 Vgl. den ähnlichen Einwand und seine Widerlegung beim hl. Ambrosius: De paradiso c. 8. Förster, Ambrosius S. 141 f. Arevalo (Proleg. c. XVI) bespricht diesen Einwand gegen Bail, der denselben im Sinne der Manichäer urgirte.

„Wenn Gott des Uebels Urheber und Erhalter wäre, so würde er niemals nach dem Verluste des Heils und dem Untergange der Sünder die wiederbelebende Arznei zu bringen gewillt sein und die verlorenen durch ein zweites (Schöpfungs-) Werk wiederherstellen (amissos opere instaurare secundo nunquam vellet). Der Fall kommt vom Menschen, die Bewahrung (Aufrichtung) von Gott: durch seine Schuld geht jener zu Grunde, dieser tilgt des Verlorenen Werk (die Sünde) und zahlt seine Schuld. Ein unwiderleglicher Beweis ist's, daß der Herr, der solches gewährt, das Uebel nicht will, und daß er das nicht gutheißt, was er nachher beseitigt."1 (Ham. 661 sq.)

Zur Betrachtung dieses "opus secundum", wie es Prudentius darstellt, gehen wir jetzt über. Zuerst begegnet uns hierbei diejenige, welche als Morgenstern die Nähe der Sonne der Gerechtigkeit verkündigte.

Sechstes Kapitel.

Die Gottesmutter.

„Hat nicht ein Maler," fragt v. Lehner 2, „der Maria als Teufelsbesiegerin bilden will, dem Prudentius einfach nachzufahren, der die grünliche Schlange im grünen Grase unter dem Fuße der Jungfrau sich winden läßt?" In der That sieht Prudentius in dem hehren Weibe, welches nach Genesis 3, 15 mit der Schlange den Entscheidungskampf kämpfen soll, die allerseligste Jungfrau. „Auch die Schlange, die ruchlose Urheberin der bösen That, erhält (dadurch) ihre Strafe, daß das Weib mit seiner Ferse (ihr) den dreizüngigen Hals zertreten soll" (Cath. III, 126 sq.). Daß Prudentius unter „mulier" in V. 127, das V. 130 als Gattungsname gebraucht ist, das Weib x. ¿k. versteht, ergibt sich aus den folgenden Versen. Der Dichter besingt nämlich V. 136 sq. die Erfüllung der Verheißung. Die hierher gehörigen Verse 141 sq. lauten 3:

1 Ueberaus schön sind die lezten Verse (665 sq.):

Labi hominis, servare Dei est: meritis perit iste,
Ille abolet pereuntis opus meritumque resolvit.
Argumentum ingens, Dominum, qui talia praestet,
Nolle malum, nec quod post abluit ante probare.

2 Die Marienverehrung in den ersten Jahrhunderten. S. 282.

3 Die Uebersetzung ist bis auf die leßten drei Verse mit Aenderungen von Lehner a. a. D. Daß thatsächlich diese Verse im elften Jahrhundert durch eine Statue erläutert wurden, welche vielleicht unmittelbar durch die Lectüre des Dichters veranlaßt war, siehe bei Hurter, Compend. theol. dogm. t. II. p. 390 und OpusSS. Patr. XII. p. 211.

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Prudentius hat bei dieser Auslegung von Genesis 3, 15 in der Lateinischen Uebersetzung offenbar ipsa conteret caput tuum" gelesen. Daß vor Prudentius bereits diese Lesart in die Itala, bezw. in unsere Vulgata aufgenommen war, ist bekannt. Wir brauchen deßhalb unsern Dichter nicht mit dem Eifer Arevalo's 2 gegen jene zu vertheidigen, welche behaupten, er habe hier ein corrumpirtes Schriftexemplar vor Augen ge= habt. Jede besonnene Exegese muß zugeben, daß die Beziehung der Stelle im Protoevangelium auf die allerseligste Jungfrau mit den daraus ge= zogenen Consequenzen für das Dogma der unbefleckten Empfängniß bestehen bleibt, ob wir nun jenes & mit ipse oder ipsa oder wörtlich genau ipsum übersehen. Das ist aber gewiß, daß die alte Kirche durch die Ueberseßung ipsa die von Moses überlieferten göttlichen Worte ausdrücklich von der jungfräulichen Gottesmutter verstanden hat, und daß Prudentius in Cath. III, 126 hierin mit ihr zweifelsohne übereinstimmt. Die Argumente, welche Middeldorpf 3 gegen diese Beziehung unserer Dichterstelle vorbringt, verseßen uns daher im Interesse der Wahrheit

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1 Der Sinn des Dichters ist: „Dahin zielte der Kampf auf Leben und Tod (digladiabile discidium), der Schlange den Untergang zu bereiten." Lehners Ueberseßung: „Weil nun die Viper ... erliegt" (Quod modo vipera proteritur), ist mindestens schwer verständlich. Uebrigens sagt Lehner S. 178, wo er die Stelle in Prosa wiedergibt, selbst: „Daß jezt" u. s. w.

2 Proleg. c. X (Migne t. 59. col. 672). Vgl. Lehner a. a. D. S. 178. 3 Middeldorpf (1. c. p. 172) hat eine sonderbare Logik zur Anwendung gebracht, um darzuthun, Prudentius habe in Cath. III, 126-128 die allerseligste Jungfrau nicht im Auge gehabt. "Applicatne," frägt er, Prudentius Geneseos locum ad Mariam sine labe conceptam ?" Die apodiktische Verneinung dieser Frage wird also begründet: „Pertinet enim dogma de immaculata Mariae conceptione ad serius demum inventa; primo enim a Paschasio Radberto saec. IX. propositum et saec. XII. festo sancitum est." Welch sonderbare Vorstellung Middeldorpf von der Erfindung des Dogma's", sowie von dem Inhalte desselben.

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und Wissenschaft eher in die Lage, so blinden Eifer gegen die Gebenedeite unter den Frauen aufrichtig zu bedauern, als in die Nothwendigkeit, die

hat, interessirt uns hier nicht. Wir haben nur den doppelten logischen Fehler zu beanstanden, mit dessen Hülfe dem ausgewichen wird, was eigentlich Gegenstand der historischen Forschung sein soll, nämlich dem wahren Sinn der prudentianischen Worte. Zunächst ist die petitio principii aus der fallacia incerti medii zu con= statiren. Wenn Prudentius die Stelle auf die unbefleckte Empfängniß bezöge, so würde das Dogma schon im vierten Jahrhunderte bezeugt sein; nun ist aber der erste Zeuge, den Middeldorpf kennen will, Paschasius: also bezieht Prudentius die Stelle nicht auf die unbefleckte Empfängniß Maria's. Mit diesem Erfolge seiner Logik ist indeß Middeldorpf nicht zufrieden. Er meint ja, durch diesen Syllogismus bewiesen zu haben, daß Prudentius in Cath. III, 126 sq. überhaupt nicht an Maria denke. Hierin nun liegt der zweite arge Verstoß, daß er die beiden verschiedenen Fragen: 1) Versteht Prudentius a. a. D. unter „mulier" die Gottesmutter? und 2) Lehrt Prudentius eben dort die unbefleckte Empfängniß derselben? zusammenwirft, um dann mit der Behauptung, Prudentius könne das leßtere nicht lehren, die über jeden Zweifel erhabene Bejahung der ersten Frage zu umgehen. Ebenso interessant ist das Argument gegen die Bezugnahme auf Maria aus den Worten (v. 147 sq.):

Hoc erat aspidis et hominis
Digladiabile discidium.

,,Recte," heißt es bei Middeldorpf (p. 173), „Prudentius intellexit dictum (Gen. 3, 15) de inimicitia humanum genus inter et serpentem, quod discimus e v. 146—148: ‚Hoc odium' etc.; nec cuiquam in mentem veniet,hominis' illud de sola Maria posse explicari.“ (Vgl. Obbarius zu Cath. III, 123 und den genau nachschreibenden Dressel.) Man wird bei diesem „sola Maria“ an das berüchtigte Einschiebsel (Rom. 3, 28) „per fidem solam“ erinnert. Wie dort die Nothwendigkeit der guten Werke durch dieses Wörtchen beseitigt werden sollte, so hier die Beziehung auf Maria. In der That ist es, so viel ich weiß, keinem Erklärer des Prudentius eingefallen, jenes „hominis“ auf Maria allein zu beziehen. Aber jeder Leser wird vernünftiger Weise nach dem Anfange des Sazes, welchen Middeldorpf citirt hat, auch folgenden Schluß lesen (v. 149 sq.):

Quod modo cernua femineis

Vipera proteritur pedibus.

Ohne weitere Erklärung wird jedem Leser hieraus einleuchten, daß die weiblichen Füße doch einer bestimmten weiblichen Person angehören müssen, die als Vertreterin des Menschengeschlechtes dessen Kampf mit der Schlange und damit auch ihren eigenen Kampf zum Austrage bringt. Daß aber diese Tochter Eva's, welche Prudentius als Schlangentreterin preist, einzig und allein Maria, „die Gott ge= bärende und dadurch alles Gift bändigende Jungfrau“ (v. 151) ist, sagt und bekennt der Dichter ohne Umschweif. In der obigen Ueberseßung ist diese von Middeldorpf und Obbarius herausgeforderte, an sich unnöthige Erklärung enthalten.

Was den von Middeldorpf angerufenen hl. Pas ch a sius Radbert († um 865) betrifft, so sagt derselbe in seinem Werke De partu Virginis 1. I. (Migne t. 120. col. 1371): „Si non beata esset (B. M. V.) et gloriosa, nequaquam eius festivitas celebraretur ubique ab omnibus. Sed quia tamen solemniter colitur, constat ex auctoritate ecclesiae, quod nullis, quando nata est, subiacuit delictis neque contraxit in utero sanctificata originale peccatum... Nisi in utero m

a

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