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Erfter Theil.

Das Leben des Prudenti u s.

Erftes Kapitel.

Lebensverhältnisse, Charakter und Werke des Prudentius.

In einer Vorrede zu seinen Werken, welche 45 Verse umfaßt, hat uns Prudentius selbst sein Leben beschrieben. Für einen Geschichtsforscher, der das Christenthum nur als historische Thatsache kennt, der aber nicht selbst mit Herz und Mund sich zum Christenthume bekennt, kann diese Vorrede nur geringen Werth haben.

Wer dagegen bestrebt ist, das Paulinische Bekenntniß: „Christus ist mein Leben und Sterben mein Gewinn". (Phil. 1, 21), zu dem seinigen zu machen, dem müssen diese wenigen Verse als ein Meisterstück der Poesie gelten, anstatt ihm Bedauern einzuflößen, daß der Dichter nicht mehr über sein Leben mitgetheilt hat 1. Prudentius will Christ und nur Christ sein; darum kann er auch nur vom Standpunkte des lebendigen Christenthums aus verstanden werden. Prudentius hatte offenbar alle seine uns bekannten Dichtungen vor sich, als er die Vorrede schrieb. Er will mit sich selbst darüber zu Gericht gehen, wie er die ihm verliehenen Lebensjahre benügt habe. Zum Verständnisse der Vorrede muß man sich diese Situation des Dichters vergegenwärtigen.

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„Ich stehe nun im 57. Lebensjahre,“ beginnt Prudentius. „Wie habe ich diese lange Zeit benüßt?" Nach dieser Einleitung des Selbstgerichtes beschreibt er seine Kindheit. Sie weinte unter der züchtigenden Ruthe." Diese Worte genügen, um eine strenge Erziehung des Dichters durch Eltern und Lehrer zu charakterisiren. Bald nach der Anlegung der Toga besuchte er eine Rhetorenschule, um sich der juristischen Laufbahn zu widmen. Diese zweite Lebensperiode wird mit den bitteren Worten geschildert: er habe, von Lastern angesteckt, betrügen gelernt (V. 8 u. 9). „ wie beschämt und schmerzt es mich," so heißt es weiter von den darauffolgenden Jahren, „daß ich meine Jugend mit dem häßlichen Schmuße

1 Kayser (Beiträge zur Geschichte und Erklärung der ältesten Kirchenhymnen. 2. Aufl. Paderborn 1881. S. 250) hat diesen Gedanken den treffenden Ausdruck gegeben: Memoiren zu schreiben war nicht Sache der alten christlichen Schriftsteller !"

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muthwilliger Ausgelassenheit und leichtsinniger Vergnügungssucht befleckte" (V. 10-12). Alsbald läßt er diesem dritten Lebensabschnitte die Schilderung seiner öffentlichen Wirksamkeit folgen (V. 13—21). Mit Heftigkeit brauchte er die Waffe des Wortes als Sachwalter; aber auf diesem Felde unterlag sein hartnäckiger Eifer dem Gewichte ungünstiger Verhältnisse. Zweimal war er Statthalter berühmter Städte1 (V. 16 u. 17). Ueber diese seine Thätigkeit macht er sich keine Vorwürfe mehr. „Den guten Bürgern habe ich den Schuß des Gesezes verschafft, die bösen in Furcht gesetzt." Endlich erhob ihn die Huld des Kaisers (Theodosius) zu einer hohen militärischen Stellung 2, die seinen Aufenthalt in der nächsten Umgebung des Kaisers zur Folge hatte.

Hier hält der Dichter inne. Der erste Theil der Antwort auf die Frage: Was habe ich in den 57 Jahren meines Lebens gethan?" ist gegeben. Ich war alt geworden, ehe ich es dachte; meine grauen Haare erinnerten mich, daß ich schon unter dem Consulate des Salia (im Jahre 348) meinen Geburtstag feierte“ (V. 22-25). Wohl zu beachten ist, daß Prudentius sich hier lebhaft in jene Zeit zurückverseßt, wo er noch in seiner letzten öffentlichen Stellung an das Aufgeben derselben gedacht hat. Er geht darum im 22. Verse in's Präsens über und führt jetzt dem Leser jenes Selbstgespräch vor, das er damals mit sich hielt und das seinen Entschluß zur Lebensänderung einleitete. Weil dieß außer Acht gelassen worden ist, hat man vielfach die sonderbare Ansicht aufgestellt, Prudentius habe erst im Jahre 405, als er diese Worte schrieb, den Entschluß gefaßt, sich vom öffentlichen Leben zurückzuziehen; in dieser nun folgenden Zurückgezogenheit seien seine Dichtungen entstanden.

„Wird die bisher beschriebene Thätigkeit,“ so sprach der Dichter damals zu sich, „dir nach dem Tode etwas nüßen? Darauf muß ich denn mir selbst die Antwort geben: Wer immer du bist: die Welt, welcher dein Geist bisher seine ganze Aufmerksamkeit zuwandte, hat derselbe dann nach seiner Trennung vom Leibe verloren (verlassen). Das, was er bisher angestrebt hat, ist werthlos vor Gott, dem du doch (einmal) ganz an= gehören wirst. Doch noch jest, an der Neige meiner Tage, soll meine Seele ablassen von der Thorheit ihres fündhaften Strebens; mit Worten wenigstens möge sie Gott (in diesem letzten, zunächst vor mir liegenden Lebensabschnitte) verherrlichen, wenn sie es mit (thatsächlichen) Verdiensten

1 In berühmten Städten hatte er als praeses provinciae seine Residenz; so ist der Ausdruck frenos nobilium reximus urbium" (V. 17) zu verstehen.

2 Die Gründe, mit welchen Kayser (S. 254) das „militiae gradu evectum" gegen Gams, Brockhaus u. a. von einer militärischen Stellung im engern Sinne versteht, sind überzeugend. Von einer bisher nicht beachteten Bestätigung dieser Erklärung aus dem Hymnus auf den hl. Quirin (Perist. VII) wird später die Rede sein.

nicht mehr vermag. Tag und Nacht soll sie, Hymnen singend, ihren Herrn loben, kämpfen gegen die Frrlehren, den katholischen Glauben verkünden, stürzen den heidnischen Göttercult und deinen Jdolen, o Rom, den Untergang bringen; die Martyrer und Apostel endlich durch Lobgesänge verherrlichen“ (V. 28—42).

Der Dichter ist mit dem Berichte über sein Leben zu Ende. Er ist seinem Entschlusse, sich in der Zurückgezogenheit einzig dem Dienste Gottes durch die Pflege der religiösen Poesie zu widmen, theilweise nachgekommen. Noch ist er in der Ausführung desselben begriffen und will in dieser gottgeweihten Thätigkeit bis zum Tode verharren, nach welchem er in den Schlußversen der Vorrede verlangt. Während ich mit dem Munde und der Feder diesen Vorsaß ausführe, wünschte ich frei von den Banden des Körpers aufzuschweben dahin, wohin ich noch verlangen will mit dem lezten Worte meiner Zunge" (V. 43-45). Ich glaube, das ,haec dum scribo vel eloquor" nothwendig auf das vorher (V. 37–42) aufgestellte Programm beziehen zu müssen und nicht allein auf die Vorrede. Einerseits drückt Prudentius in diesen Worten überhaupt seine Sehnsucht nach der Vereinigung mit Christus im Tode aus, andererseits verlangt er, bis zu diesem ersehnten Augenblicke durch Wort und Schrift für Christus thätig zu sein.

Mit dieser Vorrede steht in innigem Zusammenhange der Epilog, welcher mit Unrecht von einigen Herausgebern als Vorrede zum Buche der Hymnen auf die Martyrer (Peristephanon) bezeichnet worden ist 1. Prudentius spricht darin dieselbe Todessehnsucht und Todesahnung aus, mit welcher er die Vorrede schließt. „Vielerlei Gefäße gibt es im Hause eines reichen Herrn doch jedes Gefäß hat seine (nüßliche) Bestimmung, wenn es sich nur für den Gebrauch des Herrn eignet. Mich bestimmt wie ein veraltetes Gefäß zu gemeinem Gebrauche Christus im Hause seines Vaters und gestattet, daß ich in irgend einem Winkel bleibe. (zwar nur) als ein irdenes (leicht zerbrechliches) Gefäß gehe ich ein in den Palast des (ewigen) Lebens; indeß, ein Glück ist's, für Gott auch nur den kleinsten und geringsten Dienst geleistet zu haben. Mag (jezt am Ende meines Lebens) kommen, was da will: das wird meine Hoffnung und mein Trost sein, daß ich im Worte Christus verherrlicht habe.“

Es dürfte schwer, ja unmöglich sein, in einer Uebersetzung die demüthige Gesinnung des Dichters zum vollen Ausdruck zu bringen, mit welcher er in diesem Schlußworte sein Leben und seine Dichtungen beurtheilt. Wir werden dieser Demuth noch öfter begegnen. Wer irgend

1 Praefationem libri Perist. esse illos (versus) Trithemius (De script. eccl. I. p. 211) et Giselinus, qui in ed. Davent. ita positos invenit, iudicant; quem sequuntur recc. praeter Arevalum omnes. Obbarius, Aurelii Prudentii Clementis carmina. Tubingae 1845. p. 306.

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