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der sogen. canones Priscilliani zu den paulinischen Briefen schickte 1: „Ideo contra eos (sc. haereticos) tale aliquid excogitandum esse dicis, quod non versuta oratoris eloquentia turgescat, vel lubricis dialecticae syllogismis involvatur; nam haec quibusdam maxima solent esse perfugia." Prudentius verwirft aber auch direct die sibyllinischen Weissagungen, die doch von den christlichen Apologeten nicht selten benüßt worden waren. Seit der Menschwerdung des Sohnes Gottes „ist still der Abgrund von Delphi mit seinen fluchbringenden Schicksalsverheißungen, . . . nicht mehr stößt der rasende Priester (fanaticus) keuchend Schicksalssprüche aus, die veröffentlicht sind in den sib y llinischen Büchern" 2. Ja, es ist nach ihm geradezu der Dämon, welcher die Menschen „aufstachelt durch den zweideutigen Spruch eines rasenden Weibes, der Sibylle, sie verstrickt durch die Berechnung der Sterne (mathesi), sie antreibt zu magischen Künsten“ 3. Es liegt wenigstens nahe, in diesen leßten Worten, mit welchen freilich zunächst das Heidenthum bekämpft wird, eine Beziehung auf die Priscillianisten zu finden. Der Hl. Augustin sagt nämlich von dieser Secte 4: „Astruunt etiam fatalibus stellis homines colligatos ipsumque corpus nostrum secundum duodecim signa coeli esse compositum sicut hi, qui mathematici vulgo appellantur." Allerdings ist mit den angeführten Stellen kein genauer Beweis dafür gebracht, daß der Dichter wirklich die Apokryphenliteratur der Priscillianisten bekämpft habe. Indeß ist hierbei zu beachten, daß zur Zeit des Prudentius die Priscillianisten noch mit Erfolg ihre Bücher vor den Katholiken zu verheimlichen suchten 5. Der Mönch Bachiarius spricht ausdrücklich hiervon. So konnte es kommen, daß die hierin liegende Gefahr zur Zeit des Dichters nicht so zu

1 Spicileg. Roman. ed. Aug. Mai, tom. IX. De Priscill. canon. ad S. Pauli epp.

2 Apoth. 438. Arevalo bemerkt über die Ansicht, daß Prudentius die unter den Christen verbreiteten sibyllinischen Orakel im Sinne habe: „mihi non liquet“, ohne seinen Zweifel zu begründen. Brodhaus überseßt Sibyllinis edita libris" mit: dem Buche der Sibylle entnommen", was sich grammatisch und sachlich schwer rechtfertigen läßt.

3 c. Symm. II, 893 sq.

4 De haeres. c. 70 (Migne t. 42. col. 44). Vgl. Synod. Tolet. I. can. XV. 5 Vgl. S. Aug. 1. c. Gams a. a. D. II. 1. S. 403. Auf einen Brief des Bischofs Ceretius antwortet Augustin: Nachdem er sein Schreiben gelesen, scheine ihm, daß (der sonst nicht genannte) Argirius entweder unwissend in die Hände der Priscillianiften gefallen oder schon mit Wissen in den Neßen derselben sei. Die ihm übersandten Codices seien sicher Schriften dieser Secte. Der beigelegte Hymnus auf Christus werde in den Apokryphen gefunden, deren sich auch andere Häretiker bedienen. Die Priscillianisten nähmen sowohl die canonischen als die apokryphen Schriften an, was aber gegen sie zeuge, deuten sie, zuweilen schlau, zuweilen unflug, hinweg.

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Tage getreten war, als da Leo I. hierüber an Turibius schrieb. Vgl. was oben S. 201 f. über die Anfänge der Häresie Priscillians mitgetheilt worden ist.

Dazu kommt ferner, daß die Katholiken bei dem damaligen Zustande des Canons in den Canon nicht aufgenommene Bücher mit gutem Gewissen brauchten, obwohl sie im Allgemeinen über die Gefahr der Apokryphenliteratur unterrichtet waren. So sagt Bachiarius in der Absicht, sich vom Verdachte der Häresie zu reinigen, ausdrücklich: „Omnem scripturam, quae ecclesiastico canoni non congruit neque consentit, non solum non suscipimus, verum etiam velut alienam a fidei veritate damnamus."1 Gleichwohl benüßt er das apokryphe dritte Buch Esdras' in seiner Schrift an Januarius 2. Endlich sagt noch Leo I. in seinem Schreiben an Turibius (c. 13): „Quamquam sint in illis (sc. apocryphis) quaedam, quae videantur speciem habere pietatis, nunquam tamen vacua sunt venenis." Hierin ist die Möglichkeit, daß rechtgläubige Christen die Apokryphenliteratur in gutem Glauben benüßten, deutlich genug ausgesprochen. Die Häresie ist sich hierin zu allen Zeiten gleich geblieben. Das Angeführte dürfte jedenfalls genügend erklären, warum wir bei Prudentius keine specielle Polemik gegen die Apokryphenliteratur finden, die wir nach den Zeitumständen des Dichters erwarten fönnten.

Zu der Frage nach dem Zustande des Schrifttextes in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts kann Prudentius kaum einen Beitrag liefern. Schon das poetische Kleid, welches die Schriftworte zumeist erhalten, ist der Untersuchung hinderlich, ob der Dichter neben der lateinischen Uebersetzung den griechischen Text benüßt oder welche der vorhandenen lateinischen Uebersetzungen, bezw. Recensionen, er vor sich gehabt habe. Indeß können wir nach den Zeitumständen, wie nach inneren Anzeichen, nicht zweifeln, daß Prudentius einer vorhieronymianischen lateinischen Uebersetzung gefolgt sei3. Die hebräischen Eigennamen hat er in der gräcisirten Form, wie sie die sogen. Itala bietet, aufgenommen; z. B. Nebroth (Ham. 143), Esaias (Perist. V, 723), Ambakum (Cath. IV, 59). In der Zahlangabe der vom Herrn erwählten Jünger (Luc. 10, 1), die er in merkwürdigen Zusammenhang mit den 72 Ahnen des lucanischen Geschlechtsregisters bringt 4, folgt Prudentius einmal der lateinischen Ueber

1 Professio fid. n. 6. Migne t. 20. Vgl. Conc. Tolet. I. can. XII: „Si quis dixerit vel crediderit alias scripturas, praeter quas ecclesia catholica recipit, in auctoritate habendas vel esse venerandas, a. s."

2 De reparat. lapsi. Migne t. 20. col. 1041; cfr. Esdr. 1. III. c. 9, 19. 3 Vgl. Gams a. a. D. II. 1. S. 347. n. 3 und Kaulen, Geschichte der Vulgata. Mainz 1868. S. 168. 198.

4 Apoth. 1001 sq.

setzung, an einer andern Stelle1 dem griechischen Texte, der nur von 70 Jüngern berichtet. Allein an letterer Stelle sind die Jünger typisch in den 70 Palmbäumen von Elim (Erod. 15, 27) vorgebildet. Des Typus wegen hat der Dichter die Zahl beschränkt.

Die Methode, nach welcher Prudentius die Schrift auslegt, stimmt genau zu dem, was im ersten Theile (Kap. 4 S. 242) über die Abhängigkeit des Dichters von seinen Zeitgenossen gesagt worden ist. Wie einem Hilarius und Ambrosius, so ist es auch unserm Prudentius unzweifelhaft, daß die ganze heilige Schrift einen doppelten Sinn enthält. Außer dem grammatisch-historischen Sinne nämlich gibt es noch einen typischen oder allegorischen Sinn. Der Schlüssel zu dem Schatze dieses höhern, geistigen Sinnes ist die Christologie. Diejenigen, welche Christum als den zweiten Adam kennen, verstehen die Allegorie und dringen ein in den typischen Sinn. Denn diese finden, von heiliger Liebe geleitet, überall in der heiligen Schrift die durch Wort und That bildlich angedeutete Beziehung auf den Hohenpriester und König der Völker und auf seine Wirksamkeit im Geschlechte zur Heiligung und Beseligung derselben." 2 Deßhalb er= eifert sich Prudentius gegen die Juden: „Du, o fleischliches Geschlecht, siehst alles nur fleischlich; das Werk des Fleisches vollbringst du unter dem Gesetze, welches doch der innere Geist erfüllt (beseelt); ... von Christus erfüllt war das Gesez, und im Schooße trug es · meine Hoffnung; ... ja welchen Buchstaben gibt's, der nicht Christum verkündet, oder welche Sammlung von Schriften feiert nicht, von Christi Lobe erfüllt, seine Wunder in neuen Büchern?" 3 „Wenn wir so in der mystischen Bedeutung (figura mystica) erwägen, was die Zahl der 318 Knechte bedeutet, mit denen Abraham dem Lot zu Hülfe kam, werden wir erkennen, daß wir (im Kampfe des Lebens) zahlreiche Kampfgenossen besigen.“ 4 Arevalo zeigt im 20. Kapitel seiner Prolegomena ausführlich, daß der Dichter hiermit auf die griechischen Zahlzeichen T 1 7/ anspielt, welche im T das Kreuzzeichen und in 17 die Anfangsbuchstaben des Namens Jesus darstellen. Bereits im neunten Kapitel des Barnabasbriefes findet sich diese Deutung. Am ähnlichsten ist Prudentius in dieser Deutung dem hl. Ambrosius 5. Für uns hat die allegorisirende Schriftauslegung des Dichters eine besondere Bedeutung wegen der Stellung, die wir ihm im Kampfe gegen die Priscillianisten gegeben haben. Der hei

1 Dittoch. 55.

3 Apoth. 367 sq.

2 Vgl. Reinkens, Hilarius von Poitiers. S. 67.

4 Psych. praef. 56 sq.: Nos esse large vernularum divites,

Si, quid trecenti bis novenis additis

Possint, figura noverimus mystica.

5 De Abraham 1. I. c. 3; De fide 1. I. prolog.

O.

lige Augustin bezeugt ausdrücklich, daß die Priscillianisten die allegorische Schriftauslegung im Uebermaße brauchten, bezw. mißbrauchten, um ihre Thorheiten aus der heiligen Schrift zu beweisen. Bernays (a. a. D. S. 66 f.) hat in scharfsinniger Weise hieraus den Unterschied hergeleitet, welcher zwischen der Chronik des Sulpicius Severus und dessen übrigen Schriften herrscht. Während in den letzteren die beliebte allegorische Me= thode der Exegese hervortritt, findet sich in der Chronik kaum eine Spur davon. Er schrieb eben seine Chronik, um die Aquitanier vor der priscillianistischen Secte zu warnen. Severus mußte fürchten, daß, wenn er von dieser Manier (der allegorischen Exegese) vor dem aquitanischen Publikum öffentlichen Gebrauch mache, er gegen ihre priscillianistische Anwendung wehrlos werde; denn war einmal zugegeben, daß Allegorie den wahren Sinn der Bibel aufschließe, so ward es Gegenstand einer mißlichen Disputation, welche Art von Allegorien ein Schlüssel und welche ein Dietrich sei. Severus hat es daher vorgezogen, mit Opferung auch der rechtgläubigen Typik und Allegorese, denen er ohne Zweifel ergeben war, sich einer rein thatsächlichen Darstellung zu befleißen." Sollte man nun von Prudentius, der im nördlichen Spanien dasselbe Publikum vor sich hatte, wie Severus in Aquitanien, nicht dasselbe erwarten? Wir sahen oben das Gegentheil. Und doch bleibt die Annahme, Prudentius habe gegen Priscillians Secte geschrieben, bestehen. Seine Gedichte lagen ja bereits fertig vor, als Severus seine Chronik schrieb und die List der Häretiker in der Schriftauslegung merkte. Wiederum finden wir an Bachiarius eine kräftige Stüße für unsere Ansicht. Indem er sich von dem Verdachte, ein Anhänger Priscillians zu sein, reinigt, kommt er wirklich auf diesen Gegenstand zu sprechen: „Vetus et novum testamentum aequa fidei lance suscipimus ac veluti currentis per signa ponderis libra, sic testimoniorum gesta mobili meditatione pensamus. Nec evacuantes historiae fidem credimus universa gesta esse, quae legimus, sed iuxta doctrinam apostolicam sensum in his spiritualem, prout Dominus dederit, perscrutamur, qui tamen sensus ad typum Christi ecclesiaeque pertineat aut in morum emendationem correctionemque proficiat."2 Bachiarius war demnach wegen seiner allegorischen Schrifterklärung in den Verdacht gekommen, Priscillianist zu sein. In der That sehen wir ihn gemäß oder auch troß dieser seiner Erklärung die Allegorese in seinen Schriften auf die Spige treiben. Prudentius schrieb gleichzeitig mit Bachiarius. Wie dieser, hatte er die Verschlagenheit der Häretiker noch nicht genug erkannt, um dieselbe Vorsicht zu brauchen, welche wir in Severus' Chronik bemerken. Noch Turibius, der um 444 Bischof von Astorga geworden war, mußte erfahren, daß die Priscillianisten ihre apo=

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kryphen Schriften mehr als die Evangelien verehrten, daß sie aber vor entschiedenen Katholiken dieselben verläugneten und äußerlich sich als Katholiken zeigten; noch auf der Synode von Braga 561 wurde der strenge Befehl Leo's I. gegen die Lesung und Verbreitung der von Priscillian ge= fälschten Schriften wiederholt1: wie dürfte man daher bei Prudentius um 400 eine ausführliche Polemik gegen die Apokryphen der Priscillianisten erwarten?

Drittes Kapitel.

ie Lehre über Gott.

A. Gottes Wesenheit.

„Wenn wir über göttliche Dinge handeln und jenen schlußweise zu erkennen (coniectare) trachten, der anfangslos ist und ohne Ende, wie er vor dem Chaos gewesen ist und wie er die Welt geschaffen hat, so zeigt sich, wie schwach der Menschengeist ist und wie beschränkt für solch eine Arbeit. Denn allzu gering ist die natürliche Einsicht (natura), wenn sie mit ihrem Auge schärfer zu blicken und die Geheimnisse der Majestät Gottes zu ergründen sich bemüht; ... leicht dagegen ist der Weg, der (uns) auffordert, zu glauben an den Allmächtigen. . . ."2 Klar befundet Prudentius mit diesen Worten, daß es eine doppelte Gotteserkenntniß gibt, die durch ein doppeltes Medium, das Licht des natürlichen Verstandes und das Licht des Glaubens, vermittelt wird. Oben (S. 289) wurde bereits angedeutet, daß Brockhaus diese Worte mißversteht, wenn er (S. 177) dem Dichter damit die Behauptung imputirt, der Glaube sei der einzige Weg, zur Erkenntniß Gottes zu gelangen, der menschliche Verstand könne nimmer zu demselben durchdringen. Nach dem Dichter drängt sich die Erkenntniß von der Existenz eines Gottes der

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Die Brockhaus'sche Eregese dieser Worte des Dichters mit ihrem Mangel an Unterscheidung erinnert durch Inhalt wie durch die Form unwillkürlich an die Worte Luthers über den Tert: „Nicht Fleisch und Blut haben es dir geoffenbart" (Matth. 16, 17). Hierin," erklärt Luther, „verwirft Christus auch klärlich Fleisch und Blut mit seiner Offenbarung, d. i. Menschen und allen menschlichen Verstand, als der da gewißlich nicht möge Christum zeigen; so muß es also auch eitel Finsterniß sein. Noch toben die hohen Schulen, die Teufelsschulen, und rühmen nicht allein das natürliche Licht, sondern richten es auf als da gut, nüß und noth sei, die christliche Wahrheit zu erkennen, daß es ja klar werde, wie die hohen Schulen niemand erfunden habe, denn der Teufel selbst"... (Kirchenpostill.)

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