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langen. Indem wir die einzelnen Hyminen des Prudentius mit dem altspanischen Missale in Beziehung brachten, insoweit leßteres die Geschichte der Heiligen in seine Formulare aufgenommen hat, fanden wir einerseits Stellen, in denen Prudentius von der Liturgie abhängig erscheint1, andererseits nicht undeutliche Zeichen, daß seine Gedichte bei der Abfassung dieser Formulare benügt worden sind 2. Wo ist nun die Grenzlinie zwischen der wechselseitigen Abhängigkeit? Die Antwort, welche zum Theil im Vorhergehenden bereits begründet, zum Theil noch zu begründen ist, dürfte in folgender These bestehen: Der Heiligensestkreis und seine Festofficien in der altspanischen Liturgie waren zur Zeit des Prudentius zum Theil bereits ausgebildet, zum Theil noch in der Ausbildung begriffen. Der Umfang des Festkreises war aber in den verschiedenen Kirchenprovinzen verschieden. Die Kirche von Toledo bestimmte endlich den für ganz Spanien geltenden Cyklus. Hierbei wurden die Festofficien namentlich unter Benützung der prudentianischen Hymnen unwesentlich verändert und erweitert.

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Daß zunächst die Liturgie in der tarraconensischen Kirchenprovinz nicht bloß im Wesentlichen, sondern auch in den Officien der Heiligen theilweise ausgebildet war, ist aus Prudentius klar. Für die übrigen Provinzen knüpft sich der Beweis an den (Perist. IV, 19) erwähnten Hl. Acisclus von Corduba3. Im gothischen Kirchenkalender wird der ge nannte Martyrer zugleich mit der Martyrin-Jungfrau Victoria am 17. November erwähnt. Allein in der Anführung der hl. Victoria herrscht in den liturgischen Büchern eine auffallende Verschiedenheit. Während in den Capitula des Festofficiums und in den Orationen Acizclus mit Victoria genannt wird, kennt die Festmesse nur die „magna solemnitas beatissimi Aciscli". Ganz ebenso weiß auch Prudentius von der hl. Victoria neben Acisclus nichts; und doch bekundet er in jenem Hymnus das ausgesprochene Streben, möglichst viele Martyrer zu nennen. Warum nennt er also Victoria nicht? Weil sie eben in der bereits ausgebildeten Festmesse nicht stand. Die Festmesse ist aber so ge= blieben, wie sie zur Zeit des Prudentius war, sonst hätte man den Namen der Victoria aufgenommen. Gams 5 meint, der Dichter habe an dem kühnen, fast tecken Auftreten der Martyrin Anstoß genommen und sie deßhalb absichtlich übergangen. Er habe den 60. Canon der Synode

1 Dieß war am auffallendsten in den Hymnen auf den hl. Cyprian (S. 161), die hl. Eulalia (S. 171), den Hl. Fructuosus (S. 176), den Hl. Romanus (S. 167), die Hl. Agnes (S. 155) und im Hymnus auf Epiphanie (S. 121).

2 Hierfür spricht der Hymnus auf die heiligen Emeterius und Chelidon (S. 168). ́ 3 Vgl. Gams a. a. D. I. S. 356 f.

4 Missale mixtum (Migne t. 85. col. 912).

5 A. a. D. I. S. 308 f.

von Elvira auf sie angewandt, welcher bestimmte, daß diejenigen nicht unter die Martyrer gerechnet werden sollten, welche beim Zertrümmern der Gößenbilder getödtet würden. Das sei gerade fast bei allen von Prudentius übergangenen Martyrern nach dem Berichte ihrer (späteren) Akten der Fall: von den heiligen Germanus, Servandus und Marcellus, von den heiligen Jungfrauen Justa und Rufina, von der barcelonensischen Eulalia. „Aehnliches mochte von Sabina, Christeta und Leocadia berichtet werden." Allein Prudentius hat im Hymnus auf die hl. Eulalia und auf Nomanus genugsam gezeigt, daß die „violentia" der Martyrer ihn nicht abhielt, sie zu preisen. Den richtigen Grund gibt Gams vielmehr vorher selbst an: „Es ist möglich, daß damals (zur Zeit des Prudentis) mit Ausnahme der Eulalia von Merida das Andenken der sieben anderen Martyrer und Jungfrauen Spaniens (welche Prudentius abweichend von der Liturgie nicht nennt) noch nicht in die Liturgie der Kirche von Spanien aufgenommen war, daß dieß erst stattfand zwischen 400-450 oder erst zur Zeit Jsidors von Sevilla. Wenn ihnen damals noch keine kirchliche Feier zu Theil wurde, so konnte Prudentius darin einen Grund finden, über sie zu schweigen. In der That haben wir keine Martyrerakten der erwähnten Sieben (Jungfrauen) aus dem vierten Jahrhundert. Die vorhandenen Berichte über Leocadia, Sabina, Justa, Victoria stammen sämmtlich aus einer spätern Zeit, aus der Zeit nach Prudentius.“

Wie es aber kommen konnte, daß einzelne Martyrer troß ihrer Berühmtheit nicht zu allgemeiner Verehrung gelangten, zeigt der Hymnus auf die 18 Martyrer. Ihr Martyrium hatte nichts, was geeignet war, es dem Gedächtnisse der Christen besonders einzuprägen, oder es waren Martyrer der frühern Zeit in solcher Verehrung, daß die späteren darüber nicht gleiche Berühmtheit erhalten konnten. In Saragossa war dieß der Fall mit den heiligen Emeterius und Chelidon, die wahrscheinlich schon um 287 in Calagurris gemartert wurden 1. Calagurris war aber dadurch einerseits zu einer der berühmtesten Wallfahrtsstätten von Spanien geworden, andererseits lag Calagurris so nahe bei Saragossa, daß es gewissermaßen mit letterem identisch galt und Saragossa für die Mutterstadt von Calagurris gehalten werden konnte. Prudentius nennt deßhalb Calagurris wiederholt unsere Stadt" 2. Daß die Kirche von Toledo die Liturgie von Tarraco überkommen und die schon bestehenden Officien der spanischen Heiligen von anderen spanischen Kirchen zum Theil ohne Veränderung annahm, ist aus der Illatio einzelner Feste heute noch ersichtlich 3. In die Zeit des Prudentius aber fällt gerade der Abschluß der altspanischen.

2 Gams a. a. D. II. 1. S. 338 f.

1 Gams a. a. D. I. S. 293 f.
3 Gami
a. a. . II. 2. S. 199 f. 209.

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Zweites Kapitel. Prudentius im Gebete.

Liturgie. „Der im Jahre 397 oder 400 gestorbene hl. Martin von Tours ist der letzte Heilige, welcher ein eigenes Festofficium in dieser Liturgie hat. Kein Heiliger, welcher nach dem Jahre 400 lebte und starb, fand Eingang in diese Liturgie, d. h. wurde durch eine eigene Messe und ein Officium gefeiert. Deßhalb mußten sogar der hl. Hieronymus und Augustinus troß der ihnen von den Spaniern gezollten unbegrenzten Verehrung sich sozusagen mit der Missa de communi begnügen."1 Eine andere Frage ist, wie weit wir die Abfassung der Festofficien, namentlich der tarraconensischen Kirchenprovinz, zurückzudatiren haben. Was die römische Kirche betrifft, so trat die Anpassung der Liturgie an das Kirchenjahr, und namentlich die Verdrängung des alten Dankgebetes (Präfation) durch die Verherrlichung der Heiligen, in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts ein 2. Damasus ist der Reformator der Liturgie in diesem Sinne. Damasus war ein Spanier wie Prudentius. Letterer hat auch in seiner Thätigkeit als Dichter so viele Aehnlichkeit mit Damasus, ja er ist offenbar abhängig von Damasus. „Was Damasus in Rom für die römische Kirche gethan, in der er den Gebrauch der Hymnen einführte, das bahnte Prudentius für die spanische Kirche an." 3 Sollte die Vermuthung zu kühn sein, daß Damasus aus Spanien die Reform wenigstens bezüglich der Präfation mitgebracht habe? In Spanien hatte Damasus wahrscheinlich in seiner Jugend das Lob der Heiligen bei der liturgischen Feier gehört. Merkwürdig genug zeigt sein Hymnus auf die hl. Agatha dieselbe schlagende Aehnlichkeit mit der Illatio ihrer Messe in der ambrosianischen Liturgie, welche wir zwischen den Hymnen des Prudentius und der spanischen Liturgie beobachten konnten. Die Festmesse auf die heiligen Faustus, Januarius und Martial ist Gams geneigt, dem Hosius von Corduba zuzuschreiben. Wieder nimmt hier die tarraconensische Kirchenprovinz eine besondere Stelle ein. Die Festmessen der Heiligen aus den Provinzen Bätica und Lusitanien enthalten keinen bestimmten örtlichen Hinweis, wie die aus tarraconen= sischem Gebiete. Vielleicht sind daher die ersteren alle in Toledo entstanden, da doch die Liturgie des südlichen Spanien der des nördlichen nicht ganz. conform war. Jedenfalls bezeugt also Prudentius das hohe Alter der altspanischen Liturgie in Theilen, die nicht wesentlich sind. Um wie viel mehr muß deßhalb die Substanz der Liturgie in ihm einen treuen Zeugen erkennen! Von dieser Substanz schreibt der hl. Ifidor“: „Ordo autem missae et orationum, quibus oblata Deo sacrificia consecrantur, primum a sancto Petro est institutus, cuius celebrationem uno eo

1 Gams a. a. D. II. 2. S. 187; II. 1. S. 397.

2 Probst, Das leonianische Sacramentar. Katholik 1879. S. 487. 494.
3 Gams a. a. D. II. 1. S. 353. 4 Vgl. Kayser a. a. D. S. 117.
5 A. a. D. II. 2. S. 201.
6 De eccles. offic. 1. I. 15.

demque modo universus peragit orbis." In der That, „der uns erhaltene Ordo missae fam von Rom nach Tarraco und wurde dort vor 259 aus dem Griechischen überseßt" 1. Die Feste der Martyrer, welche Prudentius gefeiert hat, sein Gebet an ihren Gräbern bezeugt uns also, daß er dem eucharistischen Opfer der heiligen Messe im vierten Jahrhundert ebenso beigewohnt hat, wie wir heute; dargebracht aber ist dieses Opfer worden in der Heimath des Dichters, seitdem überhaupt dort das Christenthum Eingang gefunden hat.

Prudentius hat mit der katholischen Kirche des vierten Jahrhunderts gebetet, wie dieselbe Kirche im 19. Jahrhundert betet; mit diesem Resultate der Untersuchungen über das Gebet des Prudentius wenden wir uns jezt zur Betrachtung seiner Kämpfe für die Kirche.

Drittes Kapitel.

Prudentius im Kampfe.

A. Die von Prudentius bekämpften Häresien.

Prudentius war durch und durch ein praktischer Christ. Hat er nun in den Liedern für den täglichen Gebrauch, in den Martyrerhymnen und der epigrammatischen heiligen Geschichte sein praktisches Christenthum bekundet, wie im vorhergehenden Kapitel nachgewiesen ist, so erwarten wir, daß seine apologetischen und polemischen Gedichte noch viel mehr dem praktischen Bedürfnisse gedient haben. Die Feinde, welche er bekämpft, muß er genau gekannt und ihre Bestrebungen beobachtet haben. Bei den beiden Büchern gegen Symmachus ist dieß offenbar. Ein merkwürdiges Dunkel dagegen, welches unsere Erwartung zu täuschen scheint, lagert in dieser Beziehung über der polemischen Trilogie: der Apotheosis, Hamartigenie und Psychomachie. Wir finden dort Frrlehren bekämpft und Häretiker genannt, die weder Zeitgenossen des Dichters, noch seine Landsleute waren. Einige Ausgaben theilen die Apotheosis in sechs Abschnitte und versehen dieselben mit folgenden Ueberschriften: Contra Patripassianos (v. 1-178); c. Unionitas, i. e. Sabellianos (v. 179 bis 320); c. Iudaeos (v. 321-551); c. Homuncionitas (v. 552-781); de natura animae (v. 782-951); c. Phantasmaticos (v. 952-1084) 2.

1 Gams II. 2. S. 208. Ueber die Eigenthümlichkeit der aus Tarraco stammenden Ueberseßung, die sich namentlich in dem Zusage „Papa Romensis" (Missale mixtum. Migne t. 85. col. 542) offenbart, siehe Gams a. a. D. II. 2. S. 204.

2 Daß diese Titel nicht von Prudentius herrühren, wird allgemein zugestanden. Vgl. (Teolius) Prudentii opera. Parmae 1788. tom. I. p. 311. Dressel S. 84.

Die Hamartigenie wendet sich direct gegen Marcion, und in der Psychomachie wird Arius und Photin, das einzige Mal in den Dichtungen des Prudentius, genannt. „Die Frage entsteht nun," sagt Brockhaus (a. a. O. S. 217): wie fam Prudentius überhaupt dazu, größere Gedichte theologischen Inhalts abzufassen? Wie kam er zu einer Apologetik wie die gegen Symmachus, die in der Hauptsache das schon von Ambrosius gegen denselben Gesagte reproducirt; wie kam er zu einer theologischen Polemik gegen längst verstorbene Männer wie Sabellius und Marcion, die im Wesentlichen das von anderen wider sie Vorgebrachte wiederholt?" Die Frage, deren leßter Theil uns hier im Besondern beschäftigt, ist gut gestellt, aber von Brockhaus in einer Weise gelöst, die das wissenschaftliche Bedürfniß durchaus nicht befriedigen kann. Anstatt der allgemeinen Bemerkungen (S. 1—10) des ersten Kapitels über die Zeit des Dichters, die zur Erklärung seiner Werke sehr wenig beitragen, war gerade diese Frage zu beantworten. Der richtigste Sah in diesen Bemerkungen steht dagegen im Widerspruche mit der thatsächlich von Brockhaus gegebenen Antwort. Ganz richtig heißt es nämlich S. 10:... Die schriftstellerischen Leistungen dieser Zeit erhielten einen unmittelbaren Zweck und dienten meist der Abhülfe eines vorliegenden Bedürfnisses. Dieser Zug, dem praktischen Bedürfnisse zu dienen, der Noth der Gegenwart abzuhelfen, prägt sich namentlich in den theologischen Leistungen des Abendlandes aus." Damit steht aber im Widerspruche, was S. 217 als Antwort auf obige Frage gesagt wird: „Die Lösung findet sich einfach darin, daß seine (des Prudentius) theologischen Gedichte Lehrgedichte sind, nicht sowohl zu dem Zwecke verfaßt, um Gegner, die theilweise nicht mehr vorhanden waren, zu widerlegen, sondern, wie z. B. die Vorrede zur Apotheosis offen ausspricht, um in dem verwirrenden Widerstreite verschiedener entgegengeseßter Meinungen den Gläubigen die orthodoxe Lehre in einer lebendigen und ansprechenden Form darzustellen." Brockhaus hat troß der zuversichtlichen Fassung dieser Worte ihre Mangelhaftigkeit gefühlt; S. 205 sagt er sehr richtig: „Es darf bei der polemischen Auseinanderseßung des trinitarischen Verhältnisses zwischen Vater und Sohn allerdings Wunder nehmen, daß des Prudentius Polemik gegen die Sabellianer und Patripassianer als die Läugner der Sonderexistenz des Sohnes, gegen die Juden und Heiden .. und zum Schluß gegen die Manichäer ... sich richtet, während er Arius, gegen dessen Meinung die orthodoxe Lehre hauptsächlich durchzusehen war, in der Apotheosis völlig übergeht und nur Psych. 794 kurz seiner gedenkt und zugleich über Photin das Verdammungsurtheil ausspricht." Es ist wieder ein eleganter lusit", wenn Brockhaus zur Erklärung dieser Schwierigkeit fortfährt: „Indeß erklärt sich das Fehlen einer ausgeführten Polemik gegen Arius daraus,

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