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§ 3. Die Hymnen der Gruppe B weisen folgende metrische Freiheiten auf:

1. Der reine Jambus ist ersetzt durch einen Anapäst: a) im 1. Fufs: hymn. VI 5, 3: ělěmēnta; hymn. VIII 6, 3 und 7, 3: înŏpēs; hymn. XI 7, 3: mŏrĭātur; hymn. XII 5, 2: ădŏlēre. b) im 3. Fuss: hymn. VII 5, 2: měrĭtūm; hymn. VIII 1, 2: archidiaconum; hymn. IX 7, 3: tyrannus ad õppidum; hymn. XII 2, 1: martyriō.

2. Im 2. Fufs steht statt des Jambus ein Spondeus: hymn. V 4, 1: informēt actus; hymn. IX 1, 2: Mědiōlāni; da die Licenz in einem Eigennamen auftritt, die von allen Dichtern frei behandelt werden, mufs sie entschuldigt werden; (vgl. Huemer, jamb. Dim. S. 12f.) hymn. XI 7, 3 u. 4: moriatur vīta omnium, resurgāt vīta omnium. Biraghi und Dreves wollen diesen metrischen Verstofs mit dem Hinweis entschuldigen, dafs V Konsonant aber auch Vokal sein kann. hymn. XII 5, 3: respondet: haūd; dazu ist zu bemerken, dafs nach 'respondet' eine direkte Rede beginnt, dafs also naturgemäfs eine Pause eintritt. 3. Die Länge der Arsis wird durch zwei Kürzen ersetzt: hymn. VII 1, 4: martyribus; hymn. VIII 5, 3: et děŭs.

4. Ein kurzer Vokal wird durch die Kraft der Arsis gelängt: a) sehr häufig im Wortende, so hymn. V 2, 3: iubar (vgl. Huemer, jamb. Dim. S. 18); hymn. XIII 5, 1, 2, 3: erat; ibid. 6, 1: omnia; ibid. 8, 1: tamen; ibid. 5, 2: apud. b) im Innern des Wortes: hymn. V 6, 4: ebrietatem; hymn. IX 1, 2: Mediolani (in einem Eigennamen).

5. Synizese findet sich: hymn. XI 5, 4: vitia (vgl. Huemer, jamb. Dim. S. 20 f. Huemer, Rhythmen S. 35); hymn. XIII 5, 1 und 4: principio; ibid. 6, 1: omnia.

6. Mit Synkope ist zu lesen: hymn. X 5, 2: et elevatus (vgl. Huemer, Rhythmen S. 28 und 35 f. Schuchardt, Vok. d. Vulgl. II 412).

7. Die Elision ist gewahrt: hymn. VI dreimal (1, 2; 4, 2; 5, 4); hymn. VII dreimal (4, 2; 6, 1; 8, 3)1); hymn. VIII zweimal (1, 2; 8, 4); hymn. IX viermal (1, 3; 7, 1; 7, 2; 8, 3); hymn. X einmal (5, 1); hymn. XI zweimal (2, 2; 4, 3); hymn. XII einmal (6, 3); hymn. XIII viermal (4, 1; 5, 2; 5, 3; 8, 2).

8. Der Hiatus findet sich: hymn. X 3, 4: Petri adaequavit, bei einem Eigennamen (vgl. Luc. Müller, de re metr. p. 375; Huemer jamb. Dim. S. 12 f.); hymn. XI 7, 3 u. 4: vita omnium, vita omnium (diese beiden Hiaten vermerkt Spiegel nicht, da er dem von Mone geänderten Texte folgt); hymn. XIII 5, 1: principio erat; ibid. 5, 4: principio apud.

Während sich in den Hymnen I-IV der Hiatus nicht bezw. einmal (s. S. 647), die Elision neunmal findet, zeigen die Hymnen V-XIV im ganzen fünf Hiaten, von denen einer durch den Eigen

1) Nach der Lesart einiger Handschriften 'tactu et' entsteht ein Hiatus.

namen entschuldigt wird, während die beiden Hiaten des hymn. XIII die natürliche Folge der Aufnahme des Anfangs des Johannesevangeliums sind (vgl. S. 633). Die Elision ist in den Hymnen V-XIV im ganzen zwanzigmal beachtet, eine Zahl, die im Verhältnis der für die Hymnen I-IV entspricht. Auch die sonstigen Licenzen, welche die Hymnen der Gruppe B aufweisen, sind nicht derart, dafs man gezwungen wäre, einen dieser Hymnen aus metrischen Gründen dem Ambrosius abzusprechen.

Kap. 6. § 1.
S

Reimverwendung.

Was die Verwendung des Reimes in den Hymnen anlangt, so ist es unleugbar, dafs sich in den Hymnen der Gruppe A Verse mit gleichem Ausgang finden, und es ist deshalb die Frage zu erörtern, ob Ambrosius den Reim als bewusstes Kunstmittel angewendet hat, oder ob man in dem Vorkommen des Reimes einen Zufall zu erblicken hat. Huemer1) beantwortet sie, da er in den Hymnen I-IV (128 Versen) 42 Reime gefunden hat, folgendermafsen: Daraus ersehen wir, dafs mit Rücksicht auf den Vokalreim unter 32 Strophen 2 durchgereimt sind, 6 Strophen 3 Zeilen, 22 Strophen 2 Zeilen reimen, nur 2 Strophen scheinbar reimlos sind, dafs der Reim von Ambrosius angestrebt, wenn auch noch nicht als ein notwendiger Bestandteil der Strophe betrachtet wurde." Jedoch scheint mir eine derartige Behauptung in Hinsicht auf die Art der Reime (beinahe die Hälfte derselben entsteht nämlich durch gleiche Flexionsendungen) zu gewagt zu sein, und ich stimme mit E. Norden (a. a. O. S. 865 Anm.), der ebendort S. 810-870 eine umfassende Darstellung der Geschichte des Reimes giebt, der Ansicht bei, die Dreves (Stimmen a. M. L. Erg. H. 58. S. 49) ausgesprochen hat: ,,Indes ist doch nicht zu übersehen, dafs Reime, wie die des Ambrosius, sich im Latein zu Dutzenden von Malen wie von selbst ergeben, ohne dass es nötig wäre, sie eigens anzustreben; es wäre im Gegenteil eher ein besonderes Streben nötig, wenn man sie vermeiden wollte, ein Streben, das sich durch Gezwungenheit verraten und rächen würde. Dieses Bestreben war Ambrosius fremd. Der Wahrheit dürfte wohl am meisten die Annahme entsprechen, der Reim sei Ambrosius gleichgiltig gewesen, er habe denselben weder absichtlich gesucht noch auch absichtlich vermieden." Auch Spiegel kommt auf Grund seiner über Reimverwendung angestellten Statistik (a. a. O. I S. 35) zu der Ansicht: „Reime in unserem Sinne (d. h. als die absichtlich erstrebte Wiederkehr des Gleichklanges mehrerer Silben an bestimmten Stellen des Verses) finden wir zum ersten Male als Spielerei bei Commodian und Augustin. Als poetisches Schmuckmittel jedoch oder gar als Erfordernis der Dicht

1) Jamb. Dimeter S. 29.

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kunst wurde der Reim von beiden nicht empfunden. Auch die ältesten Hymnendichter hatten kein Verständnis für den Reim." S. 36 fährt Spiegel fort: Wo sich in alten Gedichten der Gleichklang der Vokale auf die beiden letzten Silben der Zeile erstreckt, haben wir den Zufall anzunehmen." Schliesslich sagt Spiegel sogar, dafs Menge oder Reinheit oder Gleichmässigkeit des Reimes in den ersten Jahrhunderten der christlichen Hymnologie ein Gedicht hinsichtlich seines Alters nur verdächtig machen und stellt damit für diese Zeit, also auch für Ambrosius die bewusste und absichtliche Reimverwendung, die seit dem 6. Jahrhundert besonders mit dem allmählich erfolgenden Übergang der quantitierenden in die accentuierende Hymnendichtung zur Regel wird, in Abrede.

Um nun einen Vergleich zwischen der Reimverwendung in den Hymnen der Gruppe A und denen der Gruppe B zu ermöglichen, setze ich die Ergebnisse der Spiegelschen Untersuchungen in Prozenten ausgedrückt hierher. Hierbei ist zu bemerken, dass die oben angegebenen Resultate von Huemer mit denen Spiegels differieren, was neben der Verschiedenheit der Texte seinen Hauptgrund darin hat, dafs Spiegel im Gegensatz zu Huemer Reime wie hymn. II 5, 1, 2: vertice suae nicht zuläfst, also die Möglichkeit eines Reimes e ae in Abrede stellt. Den Belegen, die Huemer (jamb. Dim. S. 15) für seine Annahme beibringt, ist m. E. Beweiskraft nicht abzusprechen: ,,Dafs schon in ältester Zeit e für ae in der Volkssprache gesprochen wurde, zeigt Corssen, Ausspr. Vok. I2 p. 325. Varro bezeugt es für seine Zeit (de ling. Lat. IV 19). In den Inschriften der Kaiserzeit ist überaus häufig ae mit e vertauscht, s. Corssen, II2, 940. Th. Mommsen sagt vom Cod. Liv. Ver., den er ins 4. Jahrhundert setzen will: 'Ex soloecismis nullus tam late patet quam e vocalis et ae diphthongi permutatio' (Abh. der Berliner Akad. 1868). Lachm. Comm. Lucr. p. 25. In der spätlateinischen Volkssprache war e für ae gesprochen und geschrieben an allen Stellen des Wortes (Schuchardt, Vok. d. Vulgl. I 224 ff., Riese, A. L. pr. 42)." In der Annahme, dafs der auf den reimenden Vokal folgende Schlufskonsonant für den Reim gleichgiltig sei, dafs also verschiedene Schlufskonsonanten den Reim nicht stören oder aufheben, sind Spiegel und Huemer einig.

Die von Spiegel für die Reimverwendung gefundenen Zahlen sind: hymn. I 34,4%; hymn. II 50%; hymn. III 31,3%; hymn. IV 37,5%; hymn. V 25%; hymn. VI 50%; hymn. VII 31,3%; hymn. VIII 18,8%; hymn. IX 18,8%; hymn. X 37,5%; hymn. XI 37,5%; hymn. XII 25%; hymn. XIII 18,8%; hymn. XIV 25%

Wie die Tabelle ausweist, ist die Reimverwendung in den Hymnen der Gruppe B (V-XIV) prozentual keine höhere als in den Hymnen der Gruppe A (I-IV). Im Gegenteil erreicht nur ein Hymnus der Gruppe B 50%, zwei Hymnen zeigen 37,5%, einer 31,3%, drei 25%, drei 18%. Mithin kann auch die Reimverwendung kein Argument gegen die Echtheit der Hymnen der Gruppe B bilden.

Kap. 6. § 2.

Alliteration.

Unter den rhetorischen Schmuckmitteln der Hymnen räumt Huemer (jamb. Dimeter S. 41 ff.) der Alliteration einen hervorragenden Platz ein. Allein nach dem heutigen Stand der Forschung über die Verwendung der Alliteration im Lateinischen 1) kann in den Hymnen des Ambrosius von bewulster Anwendung dieses Kunstmittels keine Rede sein. Die Stellen, welche Huemer aus den Hymnen I-IV gesammelt hat, zeigen auf den ersten Blick, dafs man es hier nur mit einem Spiel des Zufalls zu thun hat. Betrachtet man solche,,Alliterationen" z. B. hymn. II 2, 3: perstat sedulis, hymn. III 4, 2: canora concrepet; ibid. 4, 1: cordis concinant, hymn. IV 2, 4: decet deum, ibid. 3, 4: fructus floruit, ibid. 4, 3: vexilla virtutum, ibid. 5, 3: geminae gigas, so erkennt man, dafs es sich hier weder um Alliteration in syntaktisch koordinierten Gliedern noch um Alliteration in ungleichen Redeteilen, die durch die Alliteration verbunden werden. sollen, handeln kann. Ebensowenig läfst sich in den Hymnen der Gruppe B eine Absicht erkennen, die den Dichter zur Verwendung von Wörtern, die mit gleichem Vokal oder Konsonanten anlauten, veranlasst haben sollte.2)

Anhang I.
Hymnus I.
Ad galli cantum.

1. Aeterne rerum conditor noctem diemque qui regis et temporum das tempora, ut alleves fastidium.

2. Praeco diei iam sonat,
noctis profundae pervigil,
nocturna lux viantibus,
a nocte noctem segregans.

3. Hoc excitatus lucifer
solvit polum caligine,
hoc omnis erronum chorus
vias nocendi deserit.

4. Hoc nauta vires colligit
pontique mitescunt freta,
hoc ipse, petra ecclesiae,
canente culpam diluit.

1) Vgl. Wölfflin, Über die alliterierenden Verbindungen der lat. Sprache. Sitzungsber. d. bayr. Ak. d. Wiss. 1881. Bd. II. Heft I und die Rezension dieser Arbeit von Thielmann, Blätter f. d. bayr. Gymnschulw. XVIII. Bd. S. 43—47; Wölfflin, Archiv für lat. Lexikogr. I S. 131–132, III S. 443-457, IX S. 567–573.

2) Anders ist es in der Prosa des Ambrosius, woselbst sich besonders ,,alliterierende Verbindungen" häufig finden. Einige Stellen mögen genügen: luxuriae atque lasciviae, In Ps. 118, 12, 47; virtute et veritate, In Luc. III 24; floris et foeni, In Luc. VII 125: mitis atque mansuetus, In Luc. V 54; plenus et perfectus, In Luc. VII 154; amarior et acrior, In Luc. VII 182; alitur et augetur, In Ps. 118, 11, 3; tremit atque turbatur, In Luc. X 19; introspicere et speculari, de inst. virg. 3, 18.

5. Surgamus ergo strenue, gallus iacentes excitat et somnolentos increpat, gallus negantes arguit.

6. Gallo canente spes redit, aegris salus refunditur, mucro latronis conditur, lapsis fides revertitur.

7. Iesu, paventes respice
et nos videndo corrige;
si respicis, lapsus cadunt,
fletuque culpa solvitur.

8. Tu lux, refulge sensibus

mentisque somnum discute, te nostra vox primum sonet et ora solvamus tibi.

Hymnus II.

Ad horam tertiam.

1. Iam surgit hora tertia, qua Christus ascendit crucem, nil insolens mens cogitet, intendat affectum precis.

2. Qui corde Christum suscipit, innoxium sensum gerit votisque perstat sedulis sanctum mereri Spiritum.

3. Haec hora, quae finem dedit diri veterno criminis mortisque regnum diruit culpamque ab aevo sustulit.

4. Hinc iam beata tempora
coepere Christi gratia,
fidei replevit veritas
totum per orbem ecclesias.

5. Celso triumphi vertice
matri loquebatur suae:
En filius, mater, tuus,
apostole, en mater tua.

6. Praetenta nuptae foedera
alto docens mysterio,
ne virginis partus sacer
matris pudorem laederet.

7. Cui fidem coelestibus
Iesus dedit miraculis,
nec credidit plebs impia;
qui credidit salvus erit.

8. Nos credimus natum Deum
partumque virginis sacrae,
peccata qui mundi tulit
ad dexteram sedens Patris.

Hymnus III.

Ad horam incensi.

1. Deus, creator omnium polique rector, vestiens diem decoro lumine, noctem soporis gratia. 2. Artus solutos ut quies reddat laboris usui mentesque fessas allevet luctusque solvat anxios. 3. Grates peracto iam die et noctis exortu preces, voti reos ut adiuves, hymnum canentes solvimus.

4. Te cordis ima concinant,
te vox canora concrepet,
te diligat castus amor,
te mens adoret sobria.

5. Ut, cum profunda clauserit
diem caligo noctium,
fides tenebras nesciat
et nox fide reluceat.

6. Dormire mentem ne sinas, dormire culpa noverit; castos fides refrigerans somni vaporem temperet.

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