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Ein weiteres Zeugnis aus dem 5. Jahrhundert bietet der Brief des Faustus von Riez an Gratus diaconus (p. 203 Engelbrecht): 'Accipe etiam in hymno sancti antistitis et confessoris Ambrosii, quem in natale Domini catholica per omnes Italiae et Galliae regiones persultat ecclesia:

Procede de thalamo tuo ...

geminae gigas substantiae' (Str. 5 V. 1 u. 3).

Dafs diese vier Hymnen wirklich von Ambrosius verfafst sind, wird auf Grund der völlig einwandfreien Zeugnisse allgemein anerkannt, und wenn von Hymnen des Ambrosius die Rede ist, so sind diese darunter verstanden. Jedoch wird sich, wenn man sich an die oben erwähnten Stellen aus Augustin erinnert, die den Erfolg bezeugen, den Ambrosius mit seiner Hymnendichtung hatte, wenn man ferner bedenkt, dass andere kirchliche Schriftsteller durch die Dichtungen des Ambrosius zur Nachahmung angeregt wurden1), sofort die Überzeugung aufdrängen, dass Ambrosius mehr als vier Hymnen verfasst haben muss. Für diese Annahme spricht ferner eine Stelle in den Akten des Konzils zu Toledo vom Jahre 633, aus welcher deutlich hervorgeht, dafs Ambrosius Hymnen auf Gott, auf Apostel und Martyrer gedichtet hat.)

Da aber keiner der oben erwähnten vier Hymnen, die ich der Kürze halber als Hymnengruppe A bezeichnen will, zum Preise von Aposteln und Martyrern verfafst ist, so waren Mone3) und Daniel*) berechtigt, nach echten Hymnen des Ambrosius zu suchen, in denen Apostel und Martyrer verherrlicht sind. Allein die Argumente, welche für Mone und Daniel bestimmend waren, einige solche Hymnen dem Ambrosius zuzusprechen, haben nicht überzeugt, da sich beide viel zu sehr von ihrem subjektiven Ermessen leiten liefsen. Somit war die Entwickelung der Echtheitsfrage auch durch die Hymnensammlungen Mones und Daniels nicht über den Stand hinaus gediehen, den sie schon zur Zeit des Dionysius des Karthäusers eingenommen hatte.

In ein neues Stadium trat die Frage durch die gründlichen Untersuchungen, welche Luigi Biraghi in seinem Buche 'Inni sinceri

1) Ich nenne Prudentius und Ennodius, der es carm. I 6, 39 (p. 6 ed. Vogel) selbst ausspricht, und Gelasius, von dem Gennadius 'de scriptoribus eccl. c. 96' sagt: 'fecit et hymnos in similitudinem Ambrosii.'

2) conc. Tolet. IV can. 13 (Labbe VI [Venet. 1729] 1455): 'Nonnulli hymni humano studio in laudem Dei atque apostolorum et martyrum triumphos compositi esse noscuntur, sicut hi, quos beatissimi doctores Hilarius atque Ambrosius ediderunt.' Auf diese Stelle verweist auch Guido M. Dreves S. I., Aurelius Ambrosius, der Vater des Kirchengesanges. Stimmen aus Maria-Laach. Erg.-Heft 58. Freiburg i. Br. 1893, S. 54. 3) F. J. Mone, Lateinische Hymnen des Mittelalters. I-III. Freiburg i. Br. 1853.

4) Daniel, Thesaurus hymnologicus. I. Halis 1855.

e carmi di Sant' Ambrogio' (Milano 1862) angestellt hat. Nach seinen Ausführungen hat Ambrosius aufser den vier Hymnen der Gruppe A vierzehn weitere Hymnen verfafst, deren Echtheit Biraghi nachzuweisen versucht hat. Da ich auf diese grundlegende Arbeit Biraghis im folgenden oft Bezug nehmen werde, möchte ich hier kurz auseinandersetzen, auf welchem Wege Biraghi dazu gekommen ist, für die achtzehn Hymnen des von ihm aufgestellten Kanons die Autorschaft des Ambrosius in Anspruch zu nehmen Biraghi hat die echten Hymnen des Ambrosius da gesucht, wo sie einzig mit Sicherheit zu finden sind, nämlich in der Liturgie der Mailändischen Kirche. Denn was liegt näher als die Annahme, dafs sich die Hymnen, die der Mailänder Bischof zum Gebrauche seiner Kirche verfafst hat, in ebendieser Kirche am besten erhalten haben? Deshalb stellte Biraghi an einen echten Hymnus des Ambrosius mit Recht die Forderung, dafs er ständig der Liturgie der Mailändischen Kirche angehört habe. Biraghi hat indes nicht übersehen, dafs in die Liturgie der Mailändischen Kirche, so konservativ sie auch im allgemeinen war, im Laufe der Jahrhunderte auch Nachahmungen der Hymnen des Ambrosius Eingang gefunden haben1), und er ist deshalb nicht so weit gegangen, alle 'hymni Ambrosiani', die in der Mailänder Tradition enthalten sind, als von Ambrosius herrührend zu bezeichnen. Jedenfalls aber hatte er, indem er an der richtigen Fundstätte suchte, eine feste Grundlage für seine Untersuchungen gewonnen, von der aus er zwischen den Hymnen seines Kanons und den Schriften des Ambrosius Vergleiche anstellte, welche die Echtheit dieser Hymnen darthun sollten.

Trotz der Ausführungen Biraghis konnte sich seine Ansicht über die Echtheit der von ihm dem Ambrosius zugesprochenen Hymnen keine Geltung in der Wissenschaft erringen. Zwar erwähnen Bähr 2), Huemer3), Spiegel), Teuffel 5) und Jülicher) das Buch Biraghis, ohne jedoch die von ihm gewonnenen Resultate anzunehmen oder seine Argumente zu würdigen. In anderen Werken und Abhandlungen, die sich mit ambrosianischen Hymnen beschäftigen, ist von der Arbeit Biraghis überhaupt keine Notiz genommen. So sagt Ebert in seiner Litteraturgeschichte, deren erste Auflage) 12 Jahre nach der Ab

1) Vgl. Dreves, a. a. O. S. 17.

2) Bähr, Die christlichen Dichter und Geschichtschreiber Roms.2 Karlsruhe 1872. S. 60 f.

3) Joh. Huemer, Untersuchungen über den jambischen Dimeter bei den christlich-lateinischen Hymnendichtern der vorkarolingischen Zeit. Prgr. des k. k. Obergymnasiums Wien. IX. Bezirk. 1876. Desselben Verfassers ,,Untersuchungen über die ältesten lateinisch-christlichen Rhythmen". Wien 1879.

4) Nic. Spiegel, Untersuchungen über die ältere christliche Hymnenpoesie. Prgr. des alten Gymnas. Würzburg. I. Teil. 1896. II. Teil. 1897. 5) Teuffel - Schwabe, R. L. S. 1110.

6) Jülicher bei Pauly-Wissowa, s. v.,,Ambrosius".

7) Auch in der 2. Auflage des 1. Bandes (1889) nimmt Ebert noch diesen Standpunkt ein.

handlung Biraghis erschienen ist:,,Unter den uns erhaltenen ambrosianischen Hymnen sind nur vier, von welchen die Autorschaft des Ambrosius wirklich sicher dokumentiert ist." Dieses Urteil Eberts oder wie es Dreves (a. a. O. S. 11 f.) nennt, „die Ebertsche Erblehre“ ist in verschiedenen textlichen Variierungen in die meisten Arbeiten übergegangen, in denen die Echtheitsfrage berührt ist.1)

Nur hie und da stöfst man auf eine Vermutung über die Echtheit des einen oder anderen Hymnus, der nicht der Gruppe A angehört. So sagt Joh. Kayser, Beiträge zur Geschichte und Erklärung der ältesten Kirchenhymnen. I. Paderborn 1881. S. 194, dafs er geneigt wäre, aus der grofsen Zahl der 'hymni Ambrosiani' am ersten die beiden Hymnen 'Splendor paternae gloriae' und 'Aeterna Christi munera' für echte Hymnen des Ambrosius zu halten, ohne jedoch einen Grund für seine Ansicht anzugeben. Ferner äussert sich Theodor Förster, Ambrosius, Bischof von Mailand (Halle 1884), S. 264: „Unter den 'hymni Ambrosiani', deren eine erhebliche Zahl überliefert ist, darf am meisten Anspruch auf die Autorschaft des Ambrosius machen der bekannte, ihm vielfach zugeschriebene 'Splendor paternae gloriae', ein Morgenlied, das schon zu Anfang des 6. Jahrhunderts weithin bekannt war. Doch ist es erst Beda und nach ihm Hincmar gewesen, welche Ambrosius als Verfasser nennen. Dagegen liefsen sich innere Gründe hierfür geltend machen: die kräftige, einfache Sprache, die Zahl der Strophen, die den echten Hymnen ähnliche Rhythmik, das Fehlen jeden Reimes und die innere Verwandtschaft mit Aeterne rerum conditor', soferne die Szenerie in beiden die nämliche ist." Eine Würdigung dieses Urteils verschiebe ich auf die Erörterungen über den Hymnus 'Splendor paternae gloriae' und füge hier nur noch bei, dafs sich Förster auch in seinem Artikel in der Realencyklopädie für protest. Theol. und Kirche. I.3 1896. S. 447 geneigt zeigt, diesen Hymnus dem Ambrosius zuzuschreiben, im übrigen aber, wie Weyman sagt),,,trotz der Ausführungen von Biraghi-Dreves auf seiner unfruchtbaren Exklusivität verharrt und glaubt: Mehr als 4-5 (Hymnen) werden als unzweifelhaft echt kaum anzunehmen sein“.

So hat zwar die Frage nach der Echtheit der Hymnen des Ambrosius auch während der Zeit, in der das Buch von Biraghi unver

1) Ebenso wie Ebert nehmen (aufser den S. 557 citierten Werken) nur die Hymnen der Gruppe A als echt an: Max Ihm, Studia Ambrosiana, Jahrb. f. class. Philol. von Fleckeisen. XVII. Supplementband. Leipzig 1890. M. Manitius, Geschichte der christl.-latein. Poesie. Stuttgart 1891. Unerwähnt bleibt Biraghi ferner bei Trench, Sacred Latin Poetry (3rd ed. London 1874) und in John Julians Dictionary of Hymnology. Von den Metrikern, die lateinisch-christliche Hymnen untersucht haben, nennen Biraghi nicht: Lucian Mueller, de re metrica (ed. altera 1894), der p. 95 von den Hymnen des Ambrosius spricht, und John J. Schlicher, The origin of Rhythmical Verse in late Latin. (Inaug. diss. Chicago 1900.)

2) Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft von Bursian. Bd. 93. Jahrg. 25. 1897. S. 170 ff.

dientermafsen der Vergessenheit anheimgefallen war, nicht ganz geruht, allein sie hat keine Förderung erfahren, da man es nicht für nötig gehalten hat, die von Biraghi erbrachten Beweise zu prüfen und auf der von ihm gezeigten Bahn weiterzuschreiten. Deshalb hat Guido M. Dreves der Wissenschaft einen Dienst geleistet, wenn er in seinem oben erwähnten Buche mit Nachdruck auf die Arbeit

Biraghis hingewiesen und eine (teilweise verkürzte) Übertragung derselben in die deutsche Sprache geliefert hat.1)

Es kann indes nicht entgehen, dafs Biraghi nur für einzelne in den Hymnen seines Kanons vorkommende Stellen, die ihm besonders geeignet erschienen, Parallelen aus den prosaischen Schriften des Ambrosius angeführt hat, und dafs es ihm nicht so sehr darum zu thun war, die Echtheit der Hymnen aus dem Sprachgebrauche des Ambrosius als vielmehr durch inhaltliche und sachliche Gründe zu erweisen. Deshalb habe ich mir die Aufgabe gestellt, den von Biraghi aufgestellten Kanon von 18 Hymnen, die nach seinem Urteil alle von Ambrosius verfafst sein sollen, hinsichtlich des Sprachgebrauches nachzuprüfen und so wennmöglich die von Biraghi-Dreves erbrachten meist sachlichen Echtheitsgründe durch eine eingehende sprachliche Untersuchung zu stützen.

Um eine sichere Grundlage zu gewinnen, will ich im ersten Teile der Abhandlung zuerst die Sprache der Hymnen der Gruppe A untersuchen und sie mit der Sprache der Prosawerke des Ambrosius vergleichen; sodann sollen die 14 übrigen (Gruppe B) mit der Hymnengruppe A und mit der Prosa zusammengehalten werden. Im zweiten Teil soll zuerst eine metrische Untersuchung sämtlicher Hymnen folgen, der sich eine Erörterung über die Verwendung des Reimes und der Alliteration anschliefsen wird; auch hier werden die Hymnen der Gruppe A denen der Gruppe B vorangehen.

Den Untersuchungen ist der Text der Hymnen zu Grunde gelegt, wie ihn Biraghi bietet. An den Stellen, wo sich textliche Verschiedenheiten ergeben, habe ich auf die im Anhang II beigefügten textkritischen Erörterungen verwiesen. Leider war es nicht möglich, den von Biraghi gebotenen Text überall genau zu prüfen, da er selbst nur an wenigen Stellen die Lesarten der Handschriften mitteilt; auch Dreves bietet, obwohl er die vatikanischen und mailändischen Handschriften eingesehen hat (vgl. a. a. O. S. 17-25) nur wenig mehr als Biraghi. Deshalb mussten sich die textkritischen Be

1) Als einen erfreulichen Erfolg der von Dreves veröffentlichten Abhandlung darf man es bezeichnen, dafs Bardenhewer, Patrologie " 1901 (der in der 1. Auflage seines Buches [1894] noch auf dem Standpunkte Eberts steht) S. 386 schreibt:,,Eine Reihe anderer Hymnen (des Ambrosius) sind an der Hand der mailändischen Tradition unter Zuhilfenahme innerer Kriterien von Biraghi und Dreves als echt erwiesen worden."

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merkungen auf die Stellen beschränken, zu denen Biraghi und Dreves die Lesarten der Handschriften mitgeteilt haben.

Die von Biraghi-Dreves gefundenen Parallelstellen aus der Prosa des Ambrosius habe ich der Vollständigkeit halber aufgenommen und durch Beisetzung des Namens (Bir. und Drev.) gekennzeichnet. Jedoch habe ich jene Stellen, die Biraghi und Dreves aus zweifelhaften Schriften des Ambrosius als Belege für die als echt zu erweisenden Hymnen angeführt haben, weggelassen, da solche Hinweise keine Beweiskraft besitzen, sondern nur als Vergleiche zu den Hymnen der Gruppe A zulässig sind.

Kap. 2.

Die vier Hymnen der Gruppe A.

Wenn man die Sprache der vier Hymnen des Ambrosius, welche allgemein als echt anerkannt sind, mit der Ausdrucksweise vergleicht, der sich der Bischof in seinen prosaischen Werken bedient, so fällt es sofort auf, dafs sehr häufig der poetische und prosaische Ausdruck übereinstimmt. Besonders zeigt sich diese Annäherung der prosaischen an die poetische Diktion in den zahlreichen Predigten, in denen sich die mit rhetorischen Mitteln aller Art reichlich geschmückte Sprache oft zu höchstem Pathos erhebt.1) Diese Übereinstimmung möge im einzelnen der folgende Vergleich beweisen.

Kap. 2. § 1. hymn. I: 'Aeternae rerum conditor'')

Str. 1. V. 1: Aeterne rerum conditor.'

Wie im Sprachgebrauche der Vulgata), so ist bei Ambrosius die Bildung von Verbalsubstantiven auf 'tor' sehr beliebt; 'conditor' wird Gott" genannt: de virginib. III 6, 34 te rerum conditor precamur, deus; ep. 73, 5 deus creator et conditor; de Tobia 16, 55 conditor mundi huius; de Elia 9, 32 ab ipso mundi conditore didicimus; de Noe 17, 61 nec sine auctore Deo ... et conditore;

1) Vgl. E. Norden, Die antike Kunstprosa II, der S. 810—870 die Entstehung der Hymnenpoesie und des Hymnenreimes aus der christlichen Predigt nachgewiesen hat.

2) Vgl. Biraghi, a. a. O. S. 108-112; Kayser, a. a. O. S. 149-169; ich verweise ferner auf ,,Stimmen aus Maria - Laach." 1896. Bd. 51. S. 86-97, woselbst G. M. Dreves nach dem Urteil Weymans (in Bursians Jahresber. üb. d. Fortschr. d. klass. Altert. Wissensch. Bd. 93. Jahrg. 25. [1897] S. 170) eine treffliche Übersetzung und Analysierung dieses Hymnus gegeben hat.

3) Vgl. Rönsch, Itala und Vulgata. S. 55 ff.

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