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Kirchliche Bestimmungen über die Ehe.

655 Gattin sollte nach der Lehre des Apostels Paulus ein Nachbild von der Gemeinschaft Chrifti mit der christlichen Kirche sein. Zudem wußten die Christen der ersten Zeiten, wie mißtrauisch sie von den Juden und Heiden, in deren Mitte sie lebten, beobachtet, und wie feindselig fie beurtheilt wurden. Daher konnten sie nicht streng genug darauf sehen, daß bei ihnen keine Ehe abgeschlossen würde, welche dem christlichen Namen Schande machte, und da ein einziges Ehebündniß der Art der ganzen Gemeine höchst gefährlich und verderblich werden konnte, so hatte fie das gegründetste Recht, sich für solche Fälle ein „,,Veto" vorzubehalten. Denn wer bürgte ihr dafür, daß nicht, wenn eine chriftliche Jungfrau sich mit einem Juden oder Heiden verheirathen wollte, das eheliche Vertrauen von dem Leßteren früher oder später gemißbraucht, und die ganze Gemeine an ihre Feinde verrathen werden könnte?

In Beziehung auf die vor der Annahme des Christenthums abgeschloffenen Ehen hatte der Apostel Paulus allerdings den Rath gegeben, daß die eheliche Gemeinschaft nicht aufgegeben werden sollte, wenn beide Theile es zufrieden wären; denn der ungläubige Mann fönne durch das gläubige Weib, und das ungläubige Weib durch den gläubigen Mann bekehrt werden (1 Kor. 7, 12. ff.); aber in Betreff des Abschließens einer neuen Ehe unter Christen ermahnt er, „daß es in dem Herrn geschehe" (1 Kor. 7, 39.), und das christliche Alterthum. verstand dies ganz allgemein als ein Verbot jeglicher Ehe mit Juden, Heiden oder Keßern. So sagt z. B. Tertullian (advers. Marcion V. 7.): „der Apostel gebe diese Vorschrift darum, damit kein Gläubiger ein heidnisches Bündniß eingehe, und er folge darin dem göttlichen Geses, welches die Ehe mit Solchen, die nicht zu demselben Volke gehören, verbiete;" und in einer anderen Schrift (de lapsis) erklärt er: sich mit Ungläubigen ehelich verbinden, heiße die Glieder Chrifti den Heiden Preis geben." In ganz ähnlicher Weise erklären fich Ambrosius und andere Kirchenväter.

Die Ehe mit Keßern war nur gestattet, wenn der fegerische Theil zur rechtgläubigen Kirche überzugehen versprach. Christen," heißt es z. B. in dem 31. Kanon des Laodicenischen Concils,,,dürfen mit keinem Keßer ein Ehebündniß abschließen, noch auch ihre Kinder ihm zur Ehe geben; wohl aber dürfen sie dieselben als Schwiegerföhne und Schwiegertöchter annehmen, wenn diese Christen zu werden versprächen."

Das eheliche Leben einer Christin mit einem Juden, oder umgekehrt, wurde von den Staatsgefeßen 1) für Hurerei erklärt. Eben dafür galten die Ehen zwischen allaunahen Verwandten 2), und nach einer Bestimmung des, vom Papst Alexander II.

1) Cod. Theod. lib. III. tit. 7. de nuptiis I. 2. Ne quis christianam mulierem in matrimonium Judaeus accipiat, neque Judaeam Christianus conjugio sortiatur: nam si quis aliquid hujusmodi admiserit, adulterii vicem commissi hujus crimen obtinet, libertate in accusandum publicis quoque vocibus relaxata.

2) Das Concil. Agathense erflärte can. 61. für blutschänderische Verbindungen: Si quis relictam fratris uxorem carnali conjunctione polluerit: Si quis frater germanam uxorem duxerit: Si quis novercam duxerit:

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Verwandtschaftsgrade.

Zweite Ehe.

(1061-1073) gehaltenen Lateranconcils sollte selbst der siebente Grad der Verwandtschaft noch ein Hinderniß der Ehe sein, was Junocenz III. jedoch auf dem 4. Lateranconcil (1215) dahin ermäßigte, daß statt des siebenten der vierte Grad festgesezt wurde.

Zu diesen leiblichen Verwandtschaften kamen außerden auch noch die sogenannte geistliche" Verwandtschaft, und in Beziehung auf diese verbot das Kirchenrecht nicht nur die Ehe zwischen dem Läufling mit einer seiner Pathen, sondern auch zwischen denen, die bei einem und demselben Kinde Pathen gewesen waren. Ebenso wenig follten unmündige Söhne oder Töchter ohne Zustimmung ihrer Eltern, Vormünder oder Verwandten, und Sclaven nicht ohne Wissen und Willen ihrer Herren heirathen.

Auch Wittwen durften, schon nach einem alten Geseze des Romulus, erst ein Jahr nach dem Tode ihres Mannes 1) zur zweiten Ehe schreiten. Zum Glück für heirathsluftige Wittwen aber hatte das Jahr dazumal nur zehn Monate; daher dauerten auch späterhin, als das Jahr längst schon zu zwölf Monaten gerechnet wurde, das Wittwenjahr nur so lange, und erst der Kaiser Theodofius ordnete zwölf volle Monate zur Wittwentrauer an. Frauen, deren Männer lange Zeit abwesend waren, durften nur in dem Falle sich wieder verheirathen, wenn sie zuverlässige Nachrichten über den Tod des ersten Mannes hatten; kam dagegen der Todtgeglaubte wieder zurück 2), so konnte er, wenn er wollte, das Recht auf seine Gattin wieder geltend machen, und die zweite Ehe war ungültig. Unmöglich konnte nun der Priester bei einer zahlreichen Gemeine die häuslichen Verhält niffe aller Einzelnen so genau wissen, daß er jedesmal selbst zu be stimmen im Stande gewesen wäre, ob das Brautpaar, das seine kirch liche Einsegnung begehrte, ein erlaubtes oder verbotenes Ehebündnis zu schließen im Begriff sei. Um daher möglichst sicher zu gehen, ordnete die Kirche schon im Alterthum an, daß das beabsichtigte Bündniß vorher der Gemeine öffentlich angezeigt 3), und eine bestimmte Zeit

Si quis consobrinae suae se sociaverit: Si quis relictae vel filiae avunculi misceatur, aut patrui filiae vel privignae suae: aut qui ex propria consanguinitate aliquam, aut quam consanguineus habuit, uxorem duxerit.

1) Cod. Theod. III. tit. 8. de secund. nupt. I. 1. Si qua ex feminis, perdito marito, intra anni spatium alteri festinarit innubere (parum enim temporis post decem menses servandum adjicimus, tametsi id ipsum exiguum putemus) probrosis inusta votis honestioris nobilisque personae et decore et jure privetur atque omnia, quae de prioris mariti bonis vel jure sponsaliorum vel judicio defuncti conjugis consecuta fuerat,

amittat.

2) Concil. Trull. c. 93. Εἰ δέ γε ὁ στρατιώτης ἐπανέλθοι χρόνῳ ποτὲ, οὗ ἡ γυνὴ διὰ τὴν ἐπιπολὺ ἐκείνου ἀπόλειψιν ἑτέρῳ συνήφθη ἀνδρὶ, οὗτος εἰ προαιρεῖται, τὴν οἰκείαν αὖθις ἀναλαμβανέτω γυ ναῖκα, συγγνώμης αὐτῇ ἐπὶ τῇ ἀγνοίᾳ δεδομένης, καὶ τῷ ταύτην εἰςοικισαμένῳ κατὰ δεύτερον γάμον ἀνδρί.

3) Schon Ignatius erklärt in seinem Briefe an den Polykary: Пośne vois γαμοῦσι καὶ ταῖς γαμουμέναις μετὰ γνώμης τοῦ ἐπισκόπου τὴν ἕνω σιν ποιεῖσθαι, ἵνα ὁ γάμος ἢ κατὰ τὸν θεὸν καὶ μὴ κατ' ἐπιθυμίας.

Dreimalige Proclamation.

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abgewartet werden sollte, binnen welcher sich diejenigen, welche irgend eine Einwendung zu machen hätten, melden sollten; und Innocenz III. machte es, um dem zu seiner Zeit besonders arg gewordenen Unwesen der Winkeltrauungen und heimlichen Ehen Einhalt zu thun, auf dem oben erwähnten Concil (1215) zum Geseß, daß der Trauung eine dreimalige Proclamation an drei auf einander folgenden Sonntagen vorangehen sollte, wobei es auch bis jeßt geblieben ist.

"Sacri Lateranensis concilii sub Innocentio III. celebrati vestigiis inhaerendo,« heißt es demgemäß in den Verordnungen des Tridentiner Concils (Sess. XXIV. 1.), praecipit (synodus), ut in posterum, antequam matrimonium contrahatur, ter a proprio contrahentium parocho tribus continuis diebus festivis in ecclesia inter missarum solemnia publice denuncietur, inter quos matrimonium sit contrahendum; quibus denuntiationibus factis, si nullum legitimum opponatur impedimentum, ad celebrationem matrimonii in facie ecclesiae procedatur, ubi parochus, viro et muliere interrogatis, et eorum mutuo consensu intellecto, vel dicat: Ego vos in matrimonium conjungo in nomine Patris et Filii et Spiritus S., vel aliis utatur verbis, juxta receptum unius cujusque provinciae ritum.« — In Betreff des Formulars schreibt das Rituale Rom. für die Proclamation Folgendes vor: »Notum sit omnibus hic praesentibus, quod N. N. vir et N. N. mulier ex tali vel tali familia et parochia, Deo adjuvante, intendunt inter se contrahere matrimonium. Proinde admonemus omnes et singulos, ut si quis noverit aliquod consanguinitatis vel affinitatis aut cognationis spiritualis, vel quodvis aliud impedimentum inter eos esse, quod matrimonium contrahendum invicem impediat, illud quam primum nobis denuntiare debeat, et hoc admonemus primo secundo tertio.<<

Auf Grund der Bestimmung des Tridentiner Concils, daß die Proclamation inter missarum solemnia« (im Hauptgottesdienst) statt finden soll, hat man es in der katholischen Kirche zwar hin und wieder nachgesehen, im Allgemeinen aber für unstatthaft erklärt, dieselbe in einer Früh oder Spätmesse, oder gar im Nachmittagsgottesdienst vorzunehmen. Ebenso schreiben bestimmte Verordnungen (so z. B. das Concil. Tornac. vom Jahre 1574 tit. VI. c. 6, und die Ordinat. Trevir. vom Jahre 1720 c. II. 28.) vor, daß am Tage der dritten und legten Proclamation die Trauung noch nicht geschehen dürfe; es müßte denn dieser Tag gerade der leßte Tag vor der Adventsoder der österlichen Fastenzeit sein, weil diese Zeit der altkirchlichen Praris zufolge tempus clausum ist, in der keine Hochzeiten stattfinden dürfen, und die Brautleute demnach zu lange würden warten müssen. Uebrigens hat die dreimalige Proclamation in der katholischen Kirche nach dem Rituale Roman. für zwei Monate Gültigkeit; ja das Ritual von Straßburg (1742) gestattet, vom Tage der legten Proclamation an gerechnet, einen Termin von vier, das Pariser

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Dreimalige Proclamation.

Ritual (1697) gar einen von sechs Monaten bis zur Tranung, ehe eine abermalige Proclamation verlangt wird.

Was die Praxis in der evangelischen Kirche betrifft, so war Luther bekanntlich weit entfernt, in dieser Beziehung auf die Beobachtung dieser oder jener kirchlichen Form mit Strenge zu dringen. „So manches Land," heißt es in seinem „Traubüchlein für die einfältigen Pfarrherren," so manche Sitte, sagt das gemeine Sprichwort. Dem= nach, weil die Hochzeit und Ehestand ein weltlich Geschäft ist, gebührt uns Geistlichen oder Kirchendienern nichts darin zu ordnen oder regieren, sondern lassen einer jeglichen Stadt und Land hierin ihren Brauch und Gewohnheit. Etliche führen die Braut zweimal zur Kirche, Etliche nur einmal, Etliche verkündigens und bieten sie auf, auf der Kanzel, zwo oder drei Wochen. Solches Alles und dergleichen lasse ich Herrn und Rath schaffen und machen, wie sie wollen. Es geht mich nichts an. Aber so man von uns begehret für der Kirchen oder in der Kirchen, sie zu segnen, über sie zu beten oder fie auch zu trauen, sind wir schuldig, dasselbige zu thun. Darum habe ich wollen diese Worte und Weise stellen denjenigen, so es nicht besser wiffen, ob Etliche gelüstet, einträchtiger Weise mit uns hierin zu brauchen. Zum Ersten auf der Kanzel aufbieten mit solchen Worten: Hanne N. und Greta N. wollen nach göttlicher Ordnung zum heiligen Stand_der Ehe greifen, begehren deß ein gemein christlich Gebet für sie, daß fie es in Gottes Namen anfahen und wohl gerathe. Und hätte Jemand was drein zu sprechen, der thue es bei Zeit, und schweige hernach; Gott gebe ihnen seinen Segen. Amen.""

Demgemäß war auch in der evangelischen Kirche die Praxis in Betreff der Proclamation anfangs nicht überall dieselbe. In der Landesordnung des Herzogthums Preußen (1525) heißt es: „Das Aufbieten oder Verkündigen der Ehe soll aufs wenigste acht Tage für der Köstung geschehen, damit Raum gelassen werde demjenigen, so vielleicht darein zu sprechen hätte." In der Goslar'schen Kirchenordnung (1531) wird verordnet, daß keine Trauung von Brautleuten vorgenommen werden solle, sie seien denn zuvor des Morgens (d. H. in dem am zahlreichsten besuchten Hauptgottesdienst) drei oder ja zum wenigsten zwei Sonntage öffentlich in der Kirche vom Predigtstuhl aufgekündigt." Die Caffeler K.-D. (1539) bestimmt, daß die Proclamation erfolgen solle auf einen Sonntag, oder mehr, je nach dem die Personen bekannt seien, oder nicht." In allen späteren Kirchenordnungen dagegen wird durchweg eine dreimalige Proclamation verlangt.

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Das stille" und laute Vaterunser.

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XIV.

Das Vaterunser, der Friedenswunsch, die Collecte und der Segen.

Auf die kirchlichen Meldungen folgt in den protestantischen Kirchen

das Vaterunser, das der Prediger auf der Kanzel niederknieend laut spricht, während die Gemeine mit gesenktem Haupte es leise mitbetet, und auch dieser Gebrauch, das Gebet des Herrn gerade an dieser Stelle zu sprechen, ist nicht zufällig, sondern beruht auf der Praxis des christlichen Alterthums.

Man wollte (wie schon oben in dem Abschnitt über das Beten des Vaterunsers bemerkt worden ist) das Gebet aller Gebete nicht den Ungläubigen Preis geben; daher durfte es bei der Katechumenen= messe gar nicht, oder höchstens von den Gläubigen leise gebetet wer= den. Erst bei der Messe der Gläubigen, wenn alle die, vor denen man es geheim halten zu müssen glaubte, aus der Kirche entlassen waren, fonnte es laut gesprochen werden, und daher folgt auch in der katholischen Messe auf das (unserem allgemeinen Kirchengebet entspre= chende) Consecrationsgebet das "Pater noster, qui es in coelis,« ganz ebenso, wie in den evangelischen Kirchen, wenn die einzelnen Meldun= gen wegfallen; und gerade dadurch, daß es hier laut gebetet wird, unterscheidet es sich charakteristisch von dem sogenannten „stillen Vaterunser," das der älteren sächsischen und schlesischen Kirchenordnung zufolge nach dem Erordium und dem Liedervers unter der Predigt gebetet wurde. Calvoer 1) vermuthet hierbei drollig genug, daß der Prediger anfangs aus Furcht, daß er stecken bleiben könnte, es nur leise, nach Beendigung der Predigt aber, dreister geworden, laut zu beten wage, was aber schwerlich der wahre Grund ist. Dieser liegt, wie gesagt, nur in jener altchristlichen Praris, nach welcher dieses Gebet, sollte es einerseits vor den zum Abendmahlsgenuß nicht Berechtigten geheim gehalten, und doch andererseits auch bei der (zur Katechumenenmesse gehörenden) Predigt gesprochen werden, nicht anders, als leise gebetet werden konnte.

Auf das Vaterunser folgt entweder der Segen, oder, wo es Sitte ist, daß dieser nachher am Altar im Collectenton recitirt wird, der

1) Rituale I. p. 527.

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