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eigentlich nicht von Altar-, sondern nur von liturgischem Gesang die Rede sein, da der Geistliche in der Regel am Altar nicht fingt, sondern spricht, während der Chor singend respondirt.

In der lutherischen Kirche endlich, welche die Berechtigung des subjectiven Elements im Gottesdienst zwar jederzeit anerkannt hat, aber dabei den Charakter kirchlicher Objectivität nicht einbüßen wollte, hat auch der Altargesang lange Zeit hindurch seine Stelle behauptet, und welchen Werth Luther auf ihn legte, mag man aus seiner bekannten Aeußerung schließen: „Einen Prediger, der nicht fingen kann, sehe ich gar nicht an." Daher erregte es nicht geringes Mißfallen bei den Lutherischen Gemeinen und ihren Predigern, als Friedrich Wilhelm I., weil ihm daran lag, den lutherischen Gottesdienst dem reformirten möglichst ähnlich zu machen, 1736 einen Befehl erließ, in welchem das Abfingen der Collecten, des Segens und der Einsehungsworte in den Städten und auf dem Lande verboten wurde. Ja, die Opposition war so ernstlich, daß der König, der ein einmal gegebenes Edict nicht leicht zurücknahm, im nächsten Jahr unter Androhung der Amtsentsegung für die Prediger seinen Befehl erneuern mußte, worauf man sich zwar fügte, aber mit schwerem Herzen, so daß Friedrich der Große nicht mit Unrecht bei den Lutheranern auf dankbare Anerkennung rechnen dürfte, als er bald nach seinem Regierungsantritt 1740 es den Predigern wieder vollkommen freistellte, ob sie nach lutherischer Weise fingen, oder nach reformirter sprechen wollten. Jemehr indeß späterhin auch in den evangelisch-lutherischen Kirchen, wenigstens da, wo es der Aufklärungssucht gelungen war, den Gebrauch der alten Agenden zu beseitigen, der fonntägliche Gottesdienst auf ein Eingangslied, ein vom Prediger selbst ausgearbeitetes Altargebet, das Hauptlied, die Predigt und einen kurzen Schlußgefang reducirt wurde, desto natürlicher war es, daß auch der Altargesang verstummte. Denn das allerdings konnte nicht leicht Jemandem einfallen, seine eigenen Leistungen im Gebetstyl abzusingen, und an eine Wiedereinführung dieses Gesanges war daher erst dann wieder zu denken, als der Gebrauch jener alten förnigen, und wegen ihrer inhaltreichen Kürze zum gesangartigen Vortrag besonders geeigneten Formulare wiederum festgestellt worden war, wie dies für Preußen durch die Neue Agende geschehen ist.

Was den Altargesang in musikalischer Hinsicht betrifft, so war es, nachdem der Ambrosianische Kirchengesang im Laufe der Zeit mehr und mehr von seiner ursprünglichen Würde verloren hatte, Gregor der Große, der ihn wieder auf bestimmte Regeln zurückführte, und durch diese zugleich den Unterschied zwischen dem Concentus oder dem gemeinschaftlichen Gesang des Sängerchores und dem Accentus oder dem Einzelgefang des fungirenden Priesters genauer feststellte.

Das Eigenthümliche dieses Gregorianischen Accentus bestand nun darin, daß der Priester eine bestimmte Tonhöhe als Grundton wählte, und in diesem das Vorzutragende recitirte, mit Ausnahme einzelner Silben und Wörter, die er, um sie auszuzeichnen, nicht in demselben Ton, sondern höher oder tiefer sang, und in Beziehung auf diesen Tonwechsel unterschied man folgende sieben Kirchenaccente:

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1. den Accentus medius, wenn die lehte Silbe eine Terz tiefer gesungen wurde;

2. den Acc. gravis, wenn sie um eine Quinte tiefer gesun-
gen wurde;

3. den Acc. moderatus, wenn man einige Silben vor der lez-
ten einen Ton höher, die leßte aber wieder im Grundton sang;
4. den Acc. acutus, wenn man die vorhergehenden Silben
eine Terz tiefer, und die legte wieder im Grundton sang;
5. den Acc. interrogativus, wenn Fragefäße am Ende um
einen Ton höher,

6. den Acc. immutabilis, wenn die legte Silbe eines Wortes
oder Sages weder höher noch tiefer gesungen wurde, und

7. ben Acc. finalis, wenn die Stimme bei der leßten Silbe bis zur Duarte niedersank.

Den Vortrag selbst nannte man, da er in der That mehr ein Lesen, als ein Singen war, den Modus choraliter legendi, und wenn man bei dieser Vortragsweise außerdem noch einen Unterschied zwischen dem Collectenton (tonus orationum), Epistelton (tonus epistolarum) und Evangelienton (tonus evangelii) machte, so beruhte dieser nur darauf, daß der Grundton verschieden gewählt wurde 1), während die Accentuation im Wesentlichen immer ziemlich dieselbe blieb.

Eine Ausnahme jedoch machten hierin zunächst die Evangelien, die man namentlich an festlichen Tagen zur Erhöhung der Feierlichkeit nach und nach immer gesangsmäßiger vorzutragen anfing, so daß am Ende bei den allzu üppig wuchernden musikalischen Verzierungen die Deutlichkeit des Inhalts gefährdet schien, weshalb auch Kirchensynoden und Päpste mehr als einmal Verordnungen dagegen erließen, die aber nicht viel halfen. Ja, für die Lection der Lamentationen des Jeremias in der Charwoche, für die Geschlechtsregister an Weihnachten, und vor allen anderen für die Passionshistorie mußte jene gesangsmäßigere Vortragsweise, weil sie dem Volf zu lieb geworden war, als daß es sie hätte missen mögen, ausdrücklich gestattet werden. 2) Ebenso war für die Präfation, für die Einsehungsworte und das Vaterunser schon früh

1) So setzte auch Luther nach langer Berathung mit den beiden churfürstl. Kapellmeistern Konr. Rupff und Joh. Walther für die Epistel den achten, und für das Evangelium den fünften Ton fest; denn Christus," meinte er,,,ist ein freundlicher Herr, und seine Reden sind lieblich; darum wollen wir quintum tonum zum Evangelium nehmen, und weil St. Paulus ein ernster Apostel ist, wollen wir octavum tonum zur Epistel ordnen.“

2) Für die Lection des Passionsevangelii bildete sich daher auch bald eine fast dramatische Vortragsweise aus, indem sie von drei Sängern recitirt wurde, dem Sacerdos, der die Worte Christi, dem Diaconus, der die Erzählung des Evangelisten, und dem Subdiaconus, welcher die Reden der Synagoge oder der turba (d. h. des Volks) recitirte. Was den Vortrag in musikalischer Hinsicht betrifft, so beziehen sich die in den Kirchenbüchern üblichen Bezeichnungen durch die Buchstaben M. B. A. darauf, daß der Diakon die Erzählung des Evangelisten media voce, d. h. in den mittleren Tönen, der Sacerdos die Worte des Herrn bassa voce, t. b. in den tieferen, und der Subdiakon die Reden des Volkes und der übrigen einzelnen Personen alta voce, d. h. in den höheren Tönen, vorzutragen hatte.

Der liturgische Wechselgesang.

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zeitig eine melodiösere Vortragsweise üblich geworden, die sich somit Dem concentus allerdings näherte, immer aber von ihm wesentlich dadurch unterschied, daß sie, indem sie sich streng an die Geseze der Interpunction und Declamation hielt, das charakteristische Merkmal des accentus bewahrte. Was dagegen die melismatischen Intonationen des Priesters betrifft, so gehörten diese von Anfang an dem concentus zu, und die verschiedenen Weisen des Gloria in excelsis Deo . B., 3. mit denen der Priester in der Messe das Gloria einleitet, find nichts anderes, als die Anfänge der verschiedenen Compositionen dieses Gesangstücks.

In der lutherischen Kirche sind für den Altargesang des Geistli chen beibehalten worden: die Epistel- und Evangelienlection, die Einsehungsworte, das Vaterunser, die Collecte vor der Evistel, die Schlußcollecte und der Segen. Was die, außerdem noch gesangartig recitirten Formeln betrifft, wie das ,,Ehre sei Gott in der Höhe," der Herr sei mit euch," und die den Schlußcollecten vorangehenden Psalmenverse, deren erste Hälfte dem Geistlichen, die zweite dem Chor zufällt, so gehören diese in den demnächst zu behandelnden Abschnitt über die Antiphonien oder den Wechselgesang zwischen dem Geistlichen und dem Chor; und es sei daher hier hinsichtlich des Altargesanges schließlich nur noch bemerkt, daß die Neue Preußische Agende ihm zwar im kirchlichen Gottesdienst seine Stelle wieder gesichert, er aber dieselbe noch keinesweges überall wieder wirklich eingenommen hat. Denn noch jest wird vom Geistlichen am Altar meist nur gesprochen, und nur in einigen Gegenden hat sich von Alters her die Sitte erhalten, die Einsegungsworte, die Schlußcollecte und den Segen zu fingen.

2. Der liturgische Wechselgesang.

Bei dem lebendigen Wechselverkehr, der namentlich in den ersten chriftlichen Jahrhunderten beim Gottesdienst zwischen dem Priester und der Gemeine stattfand, und dem regen Eifer, mit welchem lettere an demselben so viel als möglich Theil zu nehmen wünschte, mußte der allmälig sich immer reicher entfaltende dramatische Charakter des Gottesdienstes schon frühzeitig sich in jenen Antiphonien oder Wechselgesängen kundgeben, die noch jest in der griechischen und armenischen Kirche fast den größten Theil des Gottesdienstes ausmachen.

Zu den ersten Keimen aber, aus denen sich auch dieser Theil der gottesdienstlichen Feier nachmals immer reicher und schöner entwickelte, gehört vor allem

a) das Amen,

das schon bei den Juden von frühen Zeiten her im liturgischen Gebrauch war. Denn wie das Wort selbst, so ist auch die Sitte, die Gebete mit „Amen“ zu beschließen, aus dem Zudenthum entlehnt. So heißt es 5. Mos. 27, 14. ff.: Die Leviten sollen anheben, und sagen zu Jedermann von Israel mit lauter Stimme: Verflucht sei, wer einen Gögen oder gegoffen Bild macht, ein Gräuel dem Herrn, ein Werk der Werkmeister Hände und sehet es verborgen. Und alles Volk foll

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antworten und sagen,,Amen." Verflucht sei, wer seinem Vater oder Mutter flucht; und alles Volk soll sagen,,Amen"" nach der Erklä= rung des Propheten Jeremias (28, 6.) so viel, als der Herr thue also." Demnach durfte das Amen bei keinem Gebete fehlen, indem es, wenn der Inhalt eine Lobpreisung Gottes war, als Bestätigung diente, daß man Alles, was man gebetet, mit voller Ueberzeugung gesprochen, oder wenn das Gebet Bitten enthielt, den Wunsch ausdrückte, daß es also geschehen möge, wie man gebetet hatte.

Eine besondere Wichtigkeit hatte das Amen dadurch, daß nicht der betende Priester, sondern die zuhörende Gemeine es sprach, womit fie das Gebet selbst gleichsam zu dem ihrigen machte. Daher ließen es auch die Talmudisten nicht an Drohungen und Verheißungen fehlen, um einerseits vor dem leichtsinnigen Sprechen desselben zu warnen, andererseits zu einem würdigen und andächtigen aufzufordern. „Man soll," lehrten sie,,,weder ein übereiltes (1) Amen sprechen (indem man die erste Silbe verschluckt, und das A nicht deutlich hören läßt), noch ein verkürztes (p) (indem man die leßte Silbe verschluckt, wie es bei uns oft gesprochen wird), noch ein verwaistes () (indem man unbedachtsamer Weise „Amen“ spricht, ohne daß ein Gebet oder eine Segensformel, zu der es paßt, vorangegangen ift). Denn wer das verwaiste Amen spricht, dessen Kinder werden Waisen werden; wer das übereilte sagt, dessen Lebenstage werden übereilt schnell dahin fliehen, und wer das verkürzte sagt, deffen Lebenszeit wird verkürzt werden. Wer dagegen die gehörige Zeit darauf verwendet, und es langsam sagt, dessen Tage und Jahre werden lang währen. Doch soll man auch nicht, aus abergläubischer Hoffnung auf die lebenverlängernde Kraft des „Amen," es allzulang dehnen; die Hauptsache ist, daß man es aus vollem Herzen und mit ganzer Seele sagt: denn wer es so spricht, dem werden die Pforten des Paradieses aufgethan." 1)

Je größere Wichtigkeit man nun dem Worte an und für sich selbst 2) beilegte, desto weniger kann es uns befremden, daß die neutestament= lichen Schriftsteller es unüberseßt ließen, und auch die Christen der späteren Zeit, ihre Landessprache mochte sein, welche sie wollte, für den gottesdienstlichen Gebrauch, und insbesondere für die Gebete, als Schlußwort das hebräische „Amen“ unverändert beibehielten, weshalb es auffallend genug ist, daß die Franzosen es mit ihrem »ainsi soit-il«< vertauscht haben.

Was den Gebrauch des „Amen“ im christlichen Gottesdienst be=

1) Berach fol. 47.

2) Der rabbinischen Deutung zufolge ist JDN zusammengefeßt aus den Anfangsbuchstaben der Worte ¡DNJ TD J¶8 (Adonai Melech Neeman d. i. ter Herr, der treue König) und der grübelnde Scharfsinn der Kabbalisten hatte noch herausgefunden, daß das Wort SDN dem Zahlenwerth der Buchstaben nach 91 ausmachte, also gerade so viel als der Zahlenwerth der beiden Gottesnamen

und (der 65 beträgt) zusammengenommen.

' (welcher 26)

Kirchlicher Gebrauch des Amen.

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rifft, so war er ganz derselbe, wie im jüdischen. Der Bischof oder Priester sprach das Gebet, und die Gemeine fügte das bekräftigende Amen" hinzu; und auf diese Sitte beruft sich auch der Apostel Pauus, um die Unzweckmäßigkeit des sogenannten,,Redens mit Zungen and des Betens im Geist," ohne hinzukommende Auslegung für die - versammelte Gemeine, darzuthun. Seiner 1. Kor. 14. gegebenen Schilderung zufolge haben wir uns nämlich dasselbe als ein Beten in ekstatischer Begeisterung zu denken, bei welchem der Geist des Betenden ganz in Andacht versunken war, während der Mund nur von Zeit zu Zeit, je nachdem dieser oder jener Gedanke die Seele des Betenden erfüllte, bald Seufzer, bald Jubeltöne, oder einzelne abgeriffene Worte, die fich unwillkürlich hervordrängten, laut werden ließ, aus denen aber die Umstehenden natürlich weder den Ideengang des Betenden errathen, noch den Inhalt des Gebetes verstehen konnten; und eben darum heißt es in der angeführten Stelle V. 15.:,,Wenn du aber segnest im Geist, wie soll der, so anstatt des Laien steht, Amen sagen auf deine Danksagung, sintemal er nicht versteht, was Du sagst?"

Daß das Amen auch beim Abendmahl die feierliche Bekräfti= gungsformel war, mit welcher die Communifanten beim Empfange des Brotes und des Weines die Worte des Priesters „das ist der Leib das ist das Blut Jesu Christi" beantworteten, ist bereits oben erwähnt worden. Ebenso war es von den frühesten Zeiten her bei der Taufformel im Gebrauch; im Formular der griechischen Kirche (,,Ich taufe dich im Namen des Vaters, Amen, und des Sohnes, Amen, und des heiligen Geistes, Amen") kam es sogar dreimal vor, und in der Mozarabischen Liturgie wird es jeder einzelnen Bitte des Vaterunsers hinzugefügt.

Der Gebrauch, die Predigten mit „Amen“ zu schließen, schreibt sich wahrscheinlich daher, daß man, besonders seit den Zeiten der Arianischen Keßerei, jeden Kanzelvortrag mit einer Lobpreisung der heiligen Dreieinigkeit schloß, bei welcher natürlich das „Amen“ nicht fehlen durfte.

Als besonders starke Bekräftigung kommt außerdem schon im Alten Testament ein doppeltes Amen vor, z. B. Pf. 41, 14.:,,Gelobet sei der Herr, der Gott Jsraels, von nun an bis in Ewigkeit. Amen, Amen;" ebenso Pf. 72, 19.; Pf. 89, 53. 2c., und ein oft mehr als hundertmal wiederholtes findet sich in den sogenannten „Amenfügen," deren Ursprung von dem langgedehnten Amen abzuleiten ist, das die Juden, und nach ihnen auch die Christen, schon in früher Zeit mehrere Takte hindurch mit allerlei Coleraturen fangen.

War es übrigens im Alterthum durchweg feststehender Gebrauch, daß die Gemeine bei den Altargebeten ihr bekräftigendes Amen hinzufügte, so mußte späterhin, als in der römischen Kirche die stillen Messen mehr und mehr üblich wurden, nothwendig die Frage entstehen, wie sich das Volk in Betreff des Amens bei diesen zu verhalten habe, und dies gab in Frankreich bei Gelegenheit der Einführung des neuen Miffale von Meaux (1710) Veranlassung zu einem Streit, der den Pater Lebrün zu einer gründlichen Erörterung des Gegenstandes bewog. Der römische Meßkanon nämlich, wie er gegenwärtig im Ge

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