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Die Goudimelschen Psalmen.

Psalter zu einem evangelischen Gesangbuch umzuarbeiten. Daher erschien schon 1536 ein „Gesangbüchlein" von Zwick, in dessen Vorwort das Singen der Psalmen durch Bibelstellen gerechtfertigt, und zugleich darauf gedrungen wird, daß es nicht die Kleriker, sondern die ganze Gemeine sein solle, die da finge, und in welchem die Psalmen theils nach der Mel.: Es ist das Heil uns kommen her," theils nach anderen damals bekannten bearbeitet sind. In ähnlicher Weise überseßte ziemlich um dieselbe Zeit Marot, der Vater der neueren französischen Dichtkunst, von Calvin aufgefordert, zuerst 30 Psalmen; und da diese Ueberseßung allgemeinen Beifall fand, auch am Hofe, auf den Wunsch des Königs Franz I. noch 20 andere; von den übrigen 100 find zwei (Ps. 25 und 46.) von Calvin, und 98 auf Calvin's Bitte von Beza überseßt. Diese Texte wurden nun, je nachdem es der Rhythmus und Strophenbau erlaubte, dieser oder jener weltlichen Melodie angepaßt, und die Vorliebe des Dauphin Heinrich (der nachmals als Heinrich II. zur Regierung kam) für diesen Psalmengesang machte es bald zur allgemeinen Hoffitte, daß Jeder auf diese Weise sich einen Lieblingspsalm wählte; und so, wie der Dauphin Pf. 42. (,,Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser 2c.") nach einer Jagdmelodie sang (welche in der Melodie: „Freu dich sehr, o meine Seele," vielleicht noch heut wiederklingt), so sang Diana von Poitiers, Herzogin von Valentinois, Ps. 130., Anton von Navarra Ps. 43., und die Königin Ps. 6. zu den Melodien beliebter Tanz- und Liebeslieder. Man nahm daran auch um so weniger Anstoß, je löblicher es schien, durch das Vertauschen der bisherigen frivolen Terte mit geistlichen und erbaulichen, jene unfittlichen und schmußigen Lieder selbst in Vergesfenheit zu bringen. Die katholische Kirche allerdings war nicht dieser Meinung; fie fand vielmehr, da es besonders Calvinistischgesinnte wa ren, welche die Psalmen sangen, in diesem Psalmensingen eine Hinneigung zum Keserthum, und verbot es aufs Strengste. Um so eifriger aber fuhren die Calvinisten fort, die Psalmen nach diesen, für sie gebräuchlich gewordenen Volksmelodien zu singen, und Claude Goudimel, der 1562 sechszehn vierstimmig- und motettenartig bearbeitete Psalmen herausgab 1), bemerkt ausdrücklich, daß er die Melodien en son entier beibehalten und die drei übrigen Stimmen nur angepaßt (adjousté) habe. Ueber die Vortrefflichkeit dieser, im strengsten, reinsten alten Styl componirten Psalmen ist bei den Sachkundigen nur Eine Stimme. Jeder einzelne legt Zeugniß ab, mit welcher Meisterschaft Goudimel, der Lehrer Palestrina's, den majestätischen alten Kirchenstyl zu handhaben gewußt hat. Wie ist er,“ äußert sich der

1) Er wurde deshalb auch in der Bartholomäusnacht mit 1300 anderen Hugenotten zu Lyon ermordet; vergl. Thuan. lib. 52. p. 1084. Honesti cives e carcere educti et sicis jugulati in Rhodanum projiciuntur. Eandem fortunam expertus est Claudius Gaudimelus, excellens nostra aetate musicus, qui Psalmos Davidicos vernaculis versibus a Clemente Maroto et Theodoro Beza expressos ad varios et jucundissimos modulationum numeros aptavit, quibus et hodie publice in concionibus Protestantium ac privatim decantantur.

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Die Goudimelschen Psalmen.

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Berfaffer eines Auffahes über diesen Gegenstand (in Dr. Ebrard's "Zukunft der Kirche" I. Jahrg. 1845. S. 38.),,,in jedem Psalm wieder ein anderer! Wie ringt er mit der Wehmuth der ernstesten Buße in den Seufzern des 6., wie triumphirt er frohlockend in dem Jubel des 25. und 29. Psalms! Im 68. bricht ein gewaltiges Kriegsheer Gottes wie ein Wetter über die Feinde herein es ist dies der Psalm, dessen Gesang im Cevennenkriege erschreckte Heere in die Flucht trieb ; eine erhabenere Ruhe läßt sich in Tönen nicht ausdrücken, als jene, womit der 110. Psalm den Herrn auf seinem Thron gleichsam vor Augen malt. Die Akkorde des 23. Psalms scheinen mit den lebendigen Wasserquellen hinzuspielen, und ein lebendigeres, seligeres Loblied, als der 66. Psalm kann nicht erdacht werden." 3udem ist der Saß selbst so einfach und naturgemäß, daß sich alle Psalmen sehr leicht vierstimmig fingen lassen, und namentlich haben der Cantus (Tenor, die Melodie führende Stimme) und der Discantus (Sopran) einen so melodischen Tonfortschritt, daß jede der beiden Stimmen zur Melodie gemacht werden kann, was denn auch wirklich bisweilen geschah. Daher gab späterhin (1594) Sam. Marschall (Musikus und Organist der Stadt und Universität Basel) diese Psalmen, um die eigentliche Melodie klarer hervortreten zu lassen, in einer neuen Bearbeitung heraus, mit vier Stimmen zugericht, also, daß das Choral allezeit im Discant, dergleichen vormalen im Truck nie außgegangen," und in der Vorrede bemerkt er: „Er habe durch lange Erfahrung gelernt, wie diese Gattung, in welcher die gemeine Stimme oder gewöhnliche Melodey in den Tenor geseget ist, sich zu der Art des Gesanges, mit der ganzen G'mein zu fingen, weniger schicket. Denn es bringt bei denen, so der Musica unberichtet, etwas Unverstand's, also, daß sie oft nicht wissen, was man singet, dieweil das Choral unter die andern Stimmen, deren etliche darob, etliche darunter gesungen werden, gemenget ist." Auf solche Weise bearbeitet, erhielten nun, und zwar gleichzeitig, die Psalmen der Reformirten, wie die Gesänge der Lutheraner, mehr und mehr die Form von eigentlichen Liedern, und wie man in der lutherischen Kirche manche von den Psalmenmelodien entlehnte, so eignete man hinwiederum in der reformirten manchen Psalmen lutherische Kirchenmelodien zu, und sang z. B. Pf. 100., 131., 134., 142. nach der Mel.:,,Aus fremden Landen komm' ich her" (,,Vom Himmel hoch, da komm' zc."); Pf. 117., 127. nach der Mel.: ,,Vater unser im Himmelreich;" Ps. 6. nach „Inspruck, ich muß dich laffen" (,, Welt, ich muß dich laffen"); Pf. 128., 130. nach Ent= laubt ist uns der Walde" ("Ich dank' dir, lieber Herre;" später,,Befiehl du deine Wege"). Späterhin, als die Reformirten (namentlich in Deutschland) eine Menge von Liedertexten der evangelisch-lutherischen Kirche, und mit ihnen zugleich natürlich auch die Melodien aufnahmen 1),

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1) Zunächst waren dies Weihnachts-, Ofter-, Pfingst- und andere Festlieder; und man nahm sie um so bereitwilliger auf, da man an Festen gern Lieder singen wollte, die speciell zu der Feier paßten, in den Psalmen aber dergleichen nicht fand.

412 Gesang in der englischen und katholischen Kirche.

um sie neben ihren Psalmen zu gebrauchen, wurde der Gesang in beiden Kirchen noch mehr übereinstimmend.

Ebenso kamen in der französisch - reformirten Kirche zu den Goudimelschen Psalmen, deren Terte allerdings der großen Verände rung wegen, welche die französische Sprache seit den Zeiten Calvin's erlitten hatte, einer Umarbeitung bedurften, welche durch Courart und La Bastide (1679) vorgenommen wurde, schon frühzeitig auch andere freie Kirchenlieder in Gebrauch, während die holländischen Reformirten von ihrem geseglichen Standpunkt aus und am Buchstaben klebend, alle nicht unmittelbar aus der Bibel bearbeiteten Lieder entschieden verwarfen und sich auf den Gebrauch der 1566 von Dathen nach den Goudimelschen Metris überseßten Psalmen beschränkten.

Auch in der englisch-bischöflichen Kirche besteht der Gesang, so weit er Sache der Gemeine ist, nur in dem Singen der versificirten Psalmen, wobei die einfachsten und gefälligsten Melodien älterer und neuerer Componisten, z. B. Die Himmel erzählen die Ehre Gottes" (aus Haydn's Schöpfung"); Nun beut die Flur das frische Grün" (ebendaher); „Gott erhalte Franz den Kaiser" (von Haydn); "In deinem Arm zu weilen" (aus Mozart's „Titus"); Leise, leise, fromme Waise" (aus dem Freischüß") u. a. m., benußt werden, so daß der dortige Gemeinegesang zwar die großartige Würde und Feierlichkeit des evangelischen Chorals entbehrt, aber dafür das Anmuthige der Arie hat. Und hierin sind ihnen zum Theil auch die Methodi ften und Baptisten gefolgt, denen häufig ein lieblicher, harmonischer, nur mitunter etwas zu weltlich klingender Gesang nachgerühmt wird.

Was die katholische Kirche betrifft, so fehlte es hier auch nach der Reformation noch geraume Zeit an einem kirchlichen Gemeinegesang. Jemehr aber die Gemeinen, namentlich in Deutschland, rund um sich her den feierlichen und erhebenden Choralgefang der Evangelischen hörten, desto dringender mußten sie wünschen, etwas Aehnliches zu haben. Daher erhielten auch sie späterhin mehr oder minder reichhaltige Gesangbücher zum gottesdienstlichen Gebrauch, deren Lieder theils neu gedichtet, und in Betreff der Singweise entweder neu componirt oder einer gefälligen neueren Melodie angepaßt, theils mit der Melodie zugleich aus den evangelischen Gesangbüchern entlehnt waren. Ebenso ist in den kleinen katholischen Kirchen Deutschlands, denen es an einem Sängerchor und Orchester fehlt, schon seit längerer Zeit die sogenannte Wiener deutsche Messe" im Gebrauch, in welcher das Kyrie, Gloria, Credo, Offertorium 2c. in Form kurzer Lieder von zwei oder drei Strophen bearbeitet ist, die von der Gemeine, und zwar meist nach sehr gefälligen Melodien gesungen werden können.

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Auch die Deutsch-Katholiken haben von Anfang an theils diese, theils andere, aus der evangelischen Kirche entlehnte Lieder bei ihren gottesdienstlichen Versammlungen eingeführt und es sich angelegen sein lassen, daß die Gemeine sich noch mehr, als dies in der evangelischen Kirche der Fall ist, durch gemeinschaftlichen Gesang am Gottesdienst betheilige. Es wird hier beim Hauptgottesdienst 1. vor dem Beginn desselben, 2. nach dem Sündenbekenntniß, 3. nach dem Gloria, 4. vor der Epistel- und Evangelienlection, 5. vor der Predigt, 6. nach

Gesang der Deutschkatholiken und der freien Gemeinen. 413

der Predigt, 7. nach dem Glaubensbekenntniß, 8. beim Abendmahl, 9. am Schluß des Gottesdienstes gesungen, während in der evangelischen Kirche die Gemeine beim gewöhnlichen Sonntagsgottesdienst nur viermal zu singen hat, 1. vor dem Beginn desselben, 2. vor der Predigt, 3. nach der Predigt, 4. am Schluß der gottesdienstlichen Feier. Denn die bei der Liturgie anzustimmenden kürzeren Gesänge sind hier in der Regel nicht Sache der Gemeine, sondern des Chores, obwohl man in neuester Zeit mit unverkennbarem Eifer daran arbeitet, auch diesen Chorgesang zum Gemeinegesang umzugestalten, sei es, indem man ihn, um den minder Geübten das Mitsingen zu erleichtern, mit der Orgel begleitet, oder an die Stelle der liturgischen Responsorien passende Liederverse mit bekannten Melodien treten läßt.

Giebt sich schon in den Gefängen der Deutsch-Katholiken deutlich das Bestreben fund, diesem Theil des Gottesdienstes einerseits durch Verkürzung der Lieder - meist ist es nur Eine Strophe, seltener zwei oder drei den Reiz der Abwechselung, andererseits durch Benugung gefälliger Melodien von neueren Componisten den Reiz melodiöser Schönheit zu verleihen, so ist dies bei den Liedern der freien protestantischen Gemeinen" noch mehr der Fall. In den Liedern und Gesängen der freien protestantischen Gemeine zu Nordhausen" (herausgegeb. von Ed. Balzer, Nordhausen 1847) z. B., die gleichfalls meist sehr kurz sind, finden wir unter anderen die Melodien: "O sanctissima", Integer vitae«, „ Isis und Osiris“ (aus der Zauberflöte), die Kapelle (von Conradin Kreuzer),,,Dies ist der Tag des Herrn" (von Ebendemselben), „Der du von dem Himmel bist" (von C. M. v. Weber) benut.

Öffenbar lag dem Herausgeber dieser Gesänge, abgesehen von ihrer dogmatischen Eigenthümlichkeit, von der in dem folgenden Abschnitt über die Liederterte die Rede sein wird, bei der Auswahl zugleich daran, etwas zu vermeiden, was schon in früherer Zeit von Manchen an dem evangelischem Choralgesang als ein Uebelstand getadelt worden ist, die Länge der Lieder, und die, bei der steten Wiederkehr derselben Melodie unvermeidliche Einförmigkeit des gewöhnlichen Choralgesanges.

Die älteren Gesangbücher sind nämlich, besonders seit der Zeit, da es Sitte wurde, in den Liedern vollständige dogmatische und moralische Abhandlungen, wie z. B. die Gnade Gottes in Christo Jesu, die ewige Gnadenwahl, die Pflichten eines Christen gegen seine Feinde, die wahre und falsche Liebe der Eltern gegen die Kinder 2c., zu liefern, reich an überaus langen Liedern, welche von Anfang bis zu Ende gesungen nothwendig ermüden mußten, da zu der Menge der Strophen noch die Einförmigkeit der immer in gleicher Weise wiederkehrenden Melodie hinzufam. Nun fonnte allerdings ein geschickter Organist durch zweckmäßige Abwechselung in der Harmonie Einiges thun, um den Choralgefang vor einer Geist erschlaffenden Monotonie zu bewah ren. Aber einerseits erreichte er selbst mit den schönsten und kunstreichsten Harmonien bei dem nicht musikalisch gebildeten Theil der Gemeine seinen Zweck so wenig, daß er statt Anerkennung zu finden, vielmehr oft klagen hörte, solch künstliches Orgelspiel, bei dem

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Der Choralgesang in neuerer Zeit.

man nur mit Mühe die Melodie heraushöre, erschwere das Mitsingen nur, andererseits hat auch das Talent des erfindungsreichsten und geübtesten Organisten seine Gränzen, und war er zudem am Sonntage zuerst beim Frühgottesdienst von 5 bis 7 Uhr, dann beim Hauptgottesdienst von 8 bis 11 und des Nachmittags wiederum von 2 bis 4 Uhr beschäftigt, so konnte man es ihm kaum verargen, wenn er gegen das Ende hin ermattete und um nur einmal fertig zu werden, mehr und mehr eilte. Nun wurde zwar oft genug darüber geklagt, daß die Würde des feierlichen Choralgesanges darunter leide. So lange man sich jedoch nicht entschließen konnte, davon abzugehen, daß jedesmal ein ganzes Lied, und auch die längsten von Anfang bis zu Ende durchgesungen werden mußten, blieb, wenn die für die Predigt bestimmte Zeit durch den Gesang nicht allzusehr verkürzt werden sollte, nichts anderes übrig, als daß man den Gesang möglichst beschleunigte, und daher forderte nicht selten der Prediger selbst, wenn der Organist bemüht war, die Choräle auf eine ihrem Charakter angemessene Weise langsam und würdevoll zu begleiten, ihn auf, schneller zu spielen. Späterhin entschloß man sich, weil einerseits das schnellere Spielen der Würde des Chorals Eintrag zu thun schien, andererseits die Gemeinen vielfach sich beklagten, daß sie bei einer solchen Spielweise der Orgel gar nicht nachkommen und ordentlich mitsingen könnten, eher dazu, die längeren Lieder abzukürzen, und wie wenig auch die Willkür zu billigen ist, mit welcher die Liederverbesserer" im vorigen Jahrhundert mit mauchen Liedern verfuhren, so war doch wenigstens das anzuerkennen, daß bei ihrer Verkürzung der Lieder das Ermüdende des vielen Singens" hinwegfiel. In gleicher Weise hat man auch in neuerer Zeit ziemlich allgemein den kürzeren Liedern vor den längeren den Vorzug gegeben. In der Neuen Preuß. Agende z. B. heißt es: „Der Hauptgottesdienst an Sonn- und Festtagen darf nie das Zeitmaß einer Stunde überschreiten. Hiervon wird eine halbe Stunde auf die Dauer der Liturgie mit dem Gefange der Gemeine zwischen derselben und der Predigt, und eine halbe Stunde auf die Dauer der Predigt gerechnet. Das Anfangs- und Schlußlied liegen außerhalb dieses Zeitmaßes, und hierbei wird, wenn sich nicht das ganz ausdrückliche Verlangen der Gemeine dagegen aussprechen sollte, ein kurzer Gesang von einigen Versen allezeit dem längeren vorzuziehen sein."

Bei weitem mehr noch, als es hier angerathen wird, haben sich nun, wie bereits oben erwähnt worden, die Deutsch-Katholiken die Verkürzung des Gemeinegesanges angelegen sein lassen, indem bei ihnen zwar oft gesungen wird, aber jedesmal nur Ein Vers, selten und nur bei kürzeren Strophen, zwei oder drei, und damit ist denn allerdings der Vorwurf der Monotonie, den man sonst wohl bisweilen dem evangelischen Choralgesang machte, von vorn herein beseitigt. Aber ist dieser Vorwurf denn gegründet, und sind unsere bisher üblichen Choralmelodien wirklich so einförmig, daß sich höchstens zwei oder drei Verse nach einer und derselben Melodie fingen lassen, wenn die Gemeine nicht ermüden soll? Die Deutsch-Katholiken scheinen dies allerdings anzunehmen und mehr noch scheint es die Ansicht Balzer's zu sein. Denn unter den oben erwähnten 34 Liedern und Gesängen

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