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dicht um mich herum, Tausende mit tausend verschiedenen Qualen in Krankheit, in Kummer und Noth, zerpeinigen, wie, auch außer den entseßlichen Kriegen der Völker, der blutige Krieg des Unglücks überall auf dem ganzen Erdenrund wüthet, und jeder Secundenschlag ein scharfes Schwert ist, das hier und dort blindlings Wunden haut und nicht müde wird, daß tausend Wesen erbarmenswürdig um Hülfe schreyen! Und mitten in diesem

Getümmel bleib ich ruhig sißen, wie ein Kind auf seinem Kinderstuhle, und blase Tonstücke wie Sei fenblasen in die Luft: - obwohl mein Leben eben so ernsthaft mit dem Tode schließt.

Ach! diese unbarmherzigen Gefühle schleifen mein Gemüth durch eine verzweiflungsvolle Angst, und ich vergehe vor bitterer Scham vor mir selbst. Ich fühl, ich fühl' es bitterlich, daß ich nicht verstehe, nicht vermag, ein wohlthätiges, Gott gefälliges Leben zu führen, daß Menschen, die sehr unedel von der Kunst denken, und ihre besten Werke verachtend mit Füßen treten, unendlich mehr Gutes wirken, und gottgefälliger leben als ich!

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In solcher Angst begrefi' ich es, wie jenen frommen ascetischen Märtyrern zu Muthe war, die von dem Anblicke der unfäglichen Leiden der Welt zerknirscht, wie verzweifelnde Kinder, ihren Körper lebenslang den ausgesuchtesten Kasteyungen und Pönitenzen preisgaben, um nur mit deg fürch

rerlich Ubermaße der leidenden Welt ins Gleichgewicht zu kommen.

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Und wenn mir nun der Anblick des Jammers in den Weg tritt, und Hülfe fordert, wenn leidende Menschen, Väter, Mütter und Kinder, dicht vor mir stehen, die zusammen weinen und die Hände ringen, und heftiglich schreyen vor Schmerz, — das find freylich keine lüsternen schönen Accorde, das ist nicht der schöne, wollüstige Scherz der Musik, das sind herzzerreißende Töne, und das verweichlichte Künstlergemüth geräth in Angst, weiß nicht zu antworten, schämt sich zu fliehen, und hat zu retten keine Kraft. Er quält sich mit Mitleid, er betrachtet unwillkührlich die ganze Gruppe als ein lebendig gewordenes Werk seiner Phantsie, und kanns nicht laffen, wenn er sich auch in demselben Momente vor sich selber schämt, aus dem elenden Jammer irgend etwas Schönes und kunstartigen Stoff herauszuzwingen.

Das ist das tödtliche Gift, was im unschuldigen Keime des Kunstgefühls innerlich verborgen liegt. Das ist's, daß die Kunst die menschlichen Gefühle, die fest auf der Seele gewachsen sind, vers wegen aus den heiligsten Tiefen dem mütterlichen Boden entreißt, und mit den entrissenen, künstlich zugerichteten Gefühlen frevelhaften Handel und Ge= werbe treibt, und die ursprüngliche Natur des Men= schen s:zvelhaft verscherzt. Das ist's, daß der Künft

ler ein Schauspieler wird, der jedes Leben als Rolle betrachtet, der seine Bühne für die ächte Musterund Normal - Welt, für den dichten Kern der Welt, und das gemeine wirkliche Leben nur für eine elende, zusammengeflickte Nachahmung, für die schlechte umschließende Schale ansieht.

Was hülft's aber, wenn ich mitten in diesen entseßlichen Zweifeln an der Kunst und an mir selber Frank liege, und es erhebt sich eine herrliche Musik, ha! da flüchten alle diese Gedanken im Tumulte dovon, da hebt das lüsterne Ziehen der Sehnsucht sein altes Spiel wieder an; da rüft und ruft es unwiderstehlich zurück, und die ganze kindische Seligkeit thut sich von neuem vor meinen Augen auf. Ich erschrecke, wenn ich bedenke, zu wel= chen tollen Gedanken mich die frevelhaften. Töne hinschleudern können, mit ihren lockenden Syrenenstimmen, und mit ihrem tobenden Rauschen und Trompetenklang. —

Ich komme ewig mit mir selber nicht auf festes Land. Meine Gedanken überwälzen und überkugeln sich unaufhörlich, und ich schwindle, wenn ich Anfang und Ende und bestimmte Ruhe erstreben will. Schon manchesmahl hat mein Herz diesen Krampf gehabt, und er hat sich willkührlich, wie er kam, wieder gelöst, und es war am Ende nichts als eine Ausweichung meiner Seele in eine schmerzliche Molltonart, die am gehörigen Orte stand.

So spott' ich über mich selbst,

dieß Spotten ist nur elendes Spielwerk.

und auch

Ein Unglück ist's, daß der Mensch, der in Kunstgefühl ganz zerschmolzen ist, die Vernunft und Weltweisheit, die dem Menschen so festen Frieden geben soll, so tief verachtet, und sich sogar nicht hineinfinden kann. Der Weltweise betrachtet seine Seele wie ein fystematisches Buch, und findet An= fang und Ende, und Wahrheit und Unwahrheit getrennt in bestimmten Worten. Der Künstler be= trachtet sie wie ein Gemählde oder Tonstück, kennt keine feste Überzeugung, und findet alles schön, was an gehörigem Orte steht.

Es ist, als wenn die Schöpfung alle Menschen, so wie die vierfüßigen Thiere oder Vögel, in be= stimmte Geschlechter und Claffen der geistigen Na= turgeschichte gefangen hielte; jeder sieht alles aus seinem Kerker, und keiner kann aus seinem Gea schlechte heraus.

Und so wird meine Seele wohl lebenslang der schwebenden Aeolsharfe gleichen, in deren Saiten ein fremder, unbekannter Hauch weht, und wechselnde Lüfte nach Gefallen herumwühlen.

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